traudl

dank dem pictopia-comicladen in wien habe ich diesen wunderschönen comic entdeckt. jetzt möchte ich nicht viel zur geschichte des comics erzählen, weil ich nicht zu viel verraten möchte. sie handelt von traudl, einer bauersfrau, und spielt in einem kleinen österreichischen dorf während und nach dem 2. weltkrieg.

und er ist eine offenbarung, dieser comic. ein meisterwerk nennt es pictopia, und dem kann man sich nur anschliessen. und ich möchte zwar nichts verraten, aber doch so gut wie möglich erklären, warum ich es für ein solches halte.

als erstes ist hier der stil zu nennen. dieser ist ein ganz eigener zeichnungsstil, einfach, simpel und zugänglich. kein strich ist hier zu viel, das schwarz-weiss passt wunderbar dazu. eigentlich ist es ein linien-comic, der fast vollkommen ohne flächen auskommt, ausser, es ist düster. es sind sehr schöne zeichnungen, ohne dass das harte leben am land in dieser zeit idealisiert werden würde. doch der stil passt zu diesem leben, zu dieser zeit. es ist sofort 40er/50er-jahre ohne den hauch von nostalgie, sondern eher in einer seltsamen klarheit, die umso härter trifft, man zahlt für das idyll seinen preis, wenn man es denn als solches empfindet. hier wird eine eigenen welt geschaffen, man darf teil davon sein oder muss, irgendwann will man vielleicht auch nicht mehr.

und es wird auf die zeichnungen vertraut. geschriebener text kommt in dieser bildgeschichte nur vor, wo es ihn wirklich braucht. dabei entsteht eine spannung zwischen der schwere des themas, das verhandelt wird, und der leichtigkeit der erzählung, und die frage, ob eine graphic novel ein so schwieriges thema behandeln kann, steht nicht mal ansatzweise im raum, im gegenteil, sie ist vollkommen obsolet. viel eher kann grad eine solche bildgeschichte sachliche härte und distanz sowie emotionale nähe gleichzeitig schaffen.

dann ist der rhythmus zu erwähnen. vielleicht das wichtigste bei bildgeschichten. erst wenn man einem rhythmisch so perfekten comic wie „traudl“ begegnet, wird einem bewusst, wie in diesem bereich zuweilen geschlampt wird. hier nicht. dabei ist das tempo nicht immer gleich, sondern es wird mal schneller, mal langsamer, aber mit der geschichte, passend zum inhalt, jederzeit kann man sich auf die gewichtung des zeichners verlassen. die dramaturgie verdichtet die ereignisse bis zum schluss, ohne dass man sich dessen so richtig bewusst wird, bzw. erst im nachhinein.

dann die geschichte an sich. sie stellt unter anderem die frage nach dem individuum in zeiten grosser umbrüche einerseits und im alltag andererseits. welche kompromisse sind nötig, welche nicht. es geht um liebe, familie, arbeit, aber auch um die wucht der grösseren historie. ein gute geschichte, die leerstellen lässt, viele dinge werden nicht erzählt, müssen nicht erzählt werden, weil die dinge, die erzählt werden, genug erzählen. und so hat man zeit, sich gedanken zu machen. und wie es ein guter comic möglich macht, kann man „traudl“ bestimmt immer und immer und immer wieder lesen und viele details erst entdecken.

und als letztes möchte ich das zwischenmenschliche erwähnen. die art, wie sich hier menschen begegnen. es menschelt nämlich immer, ob im guten oder im schlechten. dadurch berührt der comic mich sehr und macht es mir nicht möglich, ihn einfach zu konsumieren, sondern zwingt mich zu einer auseinandersetzung mit traudl.

„traudl“ scheint im eigenverlag herausgekommen zu sein, was ich nicht weiss wieso, aber bestellt euch diesen comic bei pictopia in wien. jetzt!

wie gesagt, ich finde es eine wucht. 10 von 10 von ochsen gezogene heuwagen.

Bonusmaterial: Interview mit Albert Huspeka auf Facebook.

haltung, flagge zeigen in leben und politik

„haltung“ von reinhold mitterlehner

inwiefern hängen form und inhalt zusammen? stellt form den kontext für den inhalt, formt der inhalt die form, oder formt die form den inhalt? spannende antworten auf diese frage gibt das buch „haltung“ des österreichischen schriftstellers reinhold mitterlehner. in diesem, seinem erstwerk, beschreibt mitterlehner aus der ich-perspektive die karriere eines typischen politikers als gewachsener funktionär einer konservativen, traditionellen volkspartei namens övp. dabei gelingt es dem schriftsteller, die sprache eines gesichtslosen, aber bemühten verwalters perfekt zu imitieren. die erfolgreiche karriere des politikers geht solange nach oben, bis er schliesslich vizekanzler und chef seiner partei ist, dann aber wird er von einem radikalisierten jungen nachwuchspolitiker gestürzt.

der aufstieg der zentralen figur des buches gestaltet sich wie nebenbei. es passieren keine grossen historischen brüche, und so geschieht auch privat und beruflich scheinbar so gut wie nichts. er wird halt präsident vom fussballverein bei dem er spielt, und irgendwann ist er halt gemeinderat. dann hat er halt fertig studiert und fängt halt in einer halbstaatlichen interessenvertretungsanstalt, von denen es in österreich hunderte gibt, zu arbeiten an, und irgendwann, nach ein-, zweimal nein sagen, aus gottgegebener bescheidenheit, ist er halt nationalratsabgeordneter, dann minister, geht halt zusammen mit seiner partei das erste mal in der geschichte eine koalition mit der rechtsextremen fpö ein, kriegt die demos mit, die sanktionen der eu, findet sie halt vollkommen übertrieben, verspürt aber halt eine gute arbeitsatmosphäre und hohe konzentration in dieser regierung, wird irgendwann dann halt später schliesslich parteichef. nebenläufig bis ganz nach oben. fleissig natürlich und vorsichtig im bösen wien, sich nicht des nachts zu besaufen. schliesslich taucht trotz aller vorsicht der ehrgeizige, rücksichtslose jungpolitiker auf, der den alten verdrängt und damit alles zerlegt, wofür dieser hätten stehen können, wäre es ihm denn möglich gewesen, je für etwas zu stehen.

Weiterlesen

Wien Commando: Angriff der Zürich Mutanten (1)

Letzthin machten wir von der Gruppe Konverter einen kleinen Kulturausflug – und zwar nach Wien. Knapp fünf Tage haben wir uns dort herumgetrieben, uns Zeug angeschaut und Pubs besucht. Hier sind ein paar meiner Impressionen.

 
Mittwoch

Noch am ersten Abend gingen wir an den Prater, genau gesagt, an den Wurstelprater, diese Riesenchilbi mit Ganzjahresbetrieb (exklusive Winter). Ihr wisst schon, da steht auch das bekannte Riesenrad (das wir allerdings aus unerfindlichen Gründen ausgelassen haben). Unter anderem besuchten wir eine Dinosaurier-Bahn: Der Jurassic Park. Untertitel: Urgewalt der Giganten (das könnte auch der Titel eines Godzillafilms sein). Eine Bahn mit geklautem Videomaterial, billigen Gummisauriern und schauderhaften Geisterbahneffekten. Trash pur. Ich war zufrieden.
Natürlich liess ich es mir nicht nehmen, mit der Wilden Maus zu fahren, jener Achterbahn, der Josef Hader einen Film gewidmet hat. (Da kleben denn auch überall Filmposter.) Meine Begleiter amüsierten sich sehr darüber, dass mir diese Achterbahn für Kinder fast schon zu hart war.
Am allerbesten gefiel mir die Geisterbahn Hotel Psycho, die alles hatte, was zu einer anständigen Geisterbahn gehörte, inklusive verkleideter Angestellter, die einen zu erschrecken versuchen. Im Übrigen fiel mir auf, dass mehrere der Geisterbahnen die Titelmusik der Filmreihe Saw als Soundtrack verwendeten.

Wir hatten ein Viererzimmer im Wombat’s Hostel beim Westbahnhof gebucht. Als wir spätnachts nach Hause kamen, stiessen wir beim Bahnhof auf einen Rollstuhlfahrer, der besoffen herumbrüllte. Wenn ich mich recht erinnere, war der Mann nackt. Eine Ecke weiter stand hingegen einer von asiatischer Herkunft, der einen schnittigen Anzug trug. Der drohte dann allerdings: „I will kill everyone.“

Bevor wir ins Zimmer raufgingen, um uns schlafenzulegen, testeten wir die Bar im Keller des Hostels. (The Lounge.) Da kann man Riesen-Jenga und anderen Quatsch spielen. Ausserdem stellte ich erfreut fest, dass der Alkohol in Wien signifikant billiger ist als in Zürich. Gut waren die Drinks auch noch. Geschmacklich, meine ich, nicht für meinen Gesundheitszustand. Ich trank also Tequila Sunrises und Gin Tonics durcheinander; dabei hatte ich doch schon am Prater Fanta gesoffen sowie Zuckerwatte gefressen und anderen Süsskram. Ergebnis: Mitten in der Nacht musste ich aufstehen, um die Toilette in unserem Viererzimmer vollzukotzen. Man wird nicht jünger.

Weiterlesen

Holzfällen: Ein Mann hat die Wut

„Während alle auf den Schauspieler warteten, der ihnen versprochen hatte, nach der Aufführung der Wildente gegen halbzwölf zu ihrem Abendessen in die Gentzgasse zu kommen, beobachtete ich die Eheleute Auersberger genau von jenem Ohrensessel aus, in welchem ich in den frühen Fünfzigerjahren beinahe täglich gesessen war und dachte, dass es ein gravierender Fehler gewesen ist, die Einladung der Auersberger anzunehmen.“

So beginnt die schönste Schimpftirade (eine Erregung, so der Untertitel) deutscher Sprache, die sich im Folgenden fast zweihundert Seiten lang hinzieht. Der Icherzähler gehörte einst dem künstlerischen Kreis um das Ehepaar Auersberger in Wien an, als er noch ein junger angehender Schriftsteller war. Schliesslich verkrachte er sich jedoch mit der Gesellschaft und entzog sich über zwanzig Jahre jeglichem Kontakt, wanderte zwischendurch nach London aus – bis eine Frau, die Joana, die zum selben Kreis gehört und die der Icherzähler damals gerne mochte, sich zuhause in ihrem Heimatdorf erhängt, und der Icherzähler die Auersberger wiedertrifft, woraufhin ihn Frau Auersberger zu einem künstlerischen Abendessen einlädt, zu dem ein berühmter Schauspieler vom Burgtheater erwartet wird, woraufhin der Icherzähler die Einladung wider besseren Wissens annimmt und auch tatsächlich hingeht. Da sitzt er nun im Ohrensessel, wie einst vor über zwanzig Jahren, und schimpft innerlich vor sich hin, fast schon in der Art eines stream of consciousness (wenn auch nicht ganz so radikal wie bei Joyce), in einem manischen Tonfall, in dem sich dieselben Themen immer wieder wiederholen, was einerseits dem Zwanghaften am Cholerischen entspricht, andererseits einen Rhythmus und eine Musikalität entwickelt, die an Ravels Bolero erinnern, der in der Tirade dann auch tatsächlich eine Rolle spielt. Gegen diesen Stil muss man mit aller Macht ankämpfen, um nicht automatisch in ihn zu verfallen, sobald man über Holzfällen schreibt, derart eingängig ist der Rhythmus und die Musikalität dieses Stils. Eine Chance, an Bernhard heranzureichen, hat man doch eh nicht (man muss sich nur mal anschauen, wie Maxim Biller in seiner Rezension zu Bernhards Meine Preise an dem Versuch scheitert).

Der Icherzähler schimpft über die Auersberger, über alle, die zu diesem künstlerischen Kreis dazugehören, aber auch über sich selbst, weil er zu schwach war, die Einladung zu diesem künstlerischen Abendessen auszuschlagen, oder weil er auf seine Art ebenso verlogen und widerwärtig ist wie sie, weshalb sich seine Wut gerade auch gegen ihn selbst richtet. Der Icherzähler schimpft darüber, dass ihm die Auersberger und ihre Spiessgesellen immer von den hohen Weihen der Kunst erzählt, dann selbst aber doch nur dilettantischen Quatsch geschaffen haben (mehr dazu hier), dass sie einst über den Kunstbetrieb Wiens geschimpft, sich aber längst selbst dem Staat an den Hals geworfen haben und jetzt Staatskunst machen. Der Icherzähler schimpft über junge Leute, über alte Leute und über die Künstlervernichtungsmaschine Wien.

Weiterlesen

ZFF 2016: Was hat uns bloss so ruiniert

zff2016_logo04

Meine Güte, das sind ja alles fürchterliche Menschen. Und nervtötend sind sie auch. Aber sehr lustig.

Was hat uns bloss so ruiniert ist die Geschichte dreier Pärchen. Das ist die Sorte Mensch, die in der Stadt in Altbauwohnungen lebt, irgendwas mit Medien oder Computer macht, umweltbewusst und ökologisch einkauft.
Als die eine schwanger wird, wollen ihre Freundinnen ebenfalls Kinder. Schliesslich sitzen sie alle mit ihren Hosenscheissern in der Kinderkrippe und diskutieren mit den anderen Eltern darüber, ob man Rosinen ins Müsli tun darf oder nicht, weil getrocknete Früchte zuviel Fructose enthalten. Als Zuschauer würde am liebsten mit einer Atombombe schmeissen und Österreich dem Erdboden gleich machen.

„Es ist sehr viel davon echt“, erzählt Regisseurin Marie Kreutzer (Gruber geht) im Q&A. Grundlage für das Drehbuch seien Beobachtungen aus ihrem Umfeld gewesen, auf dem Spielplatz oder bei Tischgesprächen. Ausserdem hätten die Schauspieler in den Proben einiges dazuimprovisiert.
Aber natürlich ist das alles humoristisch übertrieben, und der trockene Humor der Österreicher ist toll, also kann man sich den Film auch ansehen, wenn man selbst keine Kinder hat (nachdem man diesen Film gesehen hat, ist man auch froh darüber, keine Kinder zu haben).

Wenn man sich etwas hätte sparen können, dann diese grauenhafte Coverversion von Whitney Houstons „I Wanna Dance With Somebody“ auf dem Soundtrack — weshalb kommen Musiker eigentlich immer wieder auf die Idee, es sei in Ordnung, hochenergetische Songs als einschläferndes Gehauche zu covern?
 

Was hat uns bloss ro ruiniert läuft in der Kategorie Fokus Schweiz, Deutschland, Österreich / Wettbewerb
Letzte Vorstellung: Fr 30.9. um 21.15 Uhr in der Arena 7
Was hat uns bloss ro ruiniert
Österreich 2016, 96 Min.
Regie & Drehbuch: Marie Kreutzer
Mit Vicky Krieps, Marcel Mohab, Livia Teppan, Pia Hierzegger, Manuel Rubey, Pheline Roggan et al.