
Orecchie
Von Alessandro Aronadio; Italien 2016, 90 min.
Sektion: Neue Welt Sicht: Italien
Stell dir vor, du sitzt in einer miserablen, völlig unlustigen Komödie — umgeben von Leuten, die sich kaputtlachen. So gings mir mit Orecchie. Dass der Film genau davon handelt, ist das einzig Lustige daran.
Ein Typ (Daniele Parisi) erwacht eines Morgens mit einem schmerzhaften Klingeln im Ohr. Dabei hat er schon genug Probleme: Der Aushilfelehrer (Philosophie und Geschichte) muss an ein Bewerbungsgespräch bei einem Verlag, und seine Freundin hat ihm einen Post-it-Zettel an den Kühlschrank geklebt: Sein Freund Luigi sei gestorben, um 19 Uhr sei die Beerdigung. Freilich kennt unser Held keinen Luigi.
Nun muss sich der Philosoph einen Tag lang herumschlagen mit aufdringlichen Nonnen, defekten Geldautomaten, inkompetenten Ärzten oder seiner Mutter, die sich gerade einen jüngeren Freund angelacht hat.
Orecchie (zu Deutsch: Ohren) gibt sich einen hippen, intellektuellen Anstrich mit schwarzweissen Bildern und jazziger Filmmusik (denn Woody Allen hat das ab und zu gemacht, und darum machen das jetzt alle Komödienregisseure mit „Anspruch“), aber lasst euch nicht täuschen: Das ist alles Holzhammerhumor, und die gelegentlichen philosophischen Anwandlungen bleiben durchgehend seicht. Da kommt zum Beispiel Camus vor*, aber Gott bewahre, dass da mehr kommt als die oberflächlichst mögliche Zusammenfassung.
*Wäre Nietzsche dann doch zu offensichtlich gewesen, oder kennt man den in Italien einfach weniger?
Was man lustig findet, ist ja durchaus subjektiv, aber ein unorigineller, fauler Witz ist immer ein unorigineller, fauler Witz. Eine Figur ist nicht automatisch lustig, wenn sie sich auf mühsame Art exzentrisch verhält, und schrilles Getue ist nicht der Höhepunkt der Komik. Da muss schon ein bisschen mehr kommen als: „Hahahaha, die Frau an der Rezeption widmet ihrem Handy mehr Aufmerksamkeit als den Patienten! Und dann hat sie auch noch lange Fingernägel, kaut Kaugummi und lacht laut! Wie überaus köstlich!“
Und dann diese ganzen Routinen um Alltags-Ärgernisse, die schon hundertausendmal durchgespielt worden sind. Da will unser Philosoph bei einer Fast-Food-Kette ein Menü bestellen, aber HAHAHAHAHA! der Typ am Schalter ist total unflexibel, was die Menüzusammenstellung anbelangt! Das ist nur noch einen Schritt weit entfernt von einer Nummer übers Kaffeebestellen bei Starbucks.
Oder da ist der erwähnte Freund der Mutter, der als „Performer“ arbeitet. Wir sehen eine dieser Performances, und das ist dann halt irgendwelcher willkürlicher Bullshit, der beklatscht wird — der Performer schreit herum und isst eine Zwiebel. Mit anderen Worten, das ist die Art von Parodie auf moderne Kunst, die nur von Leuten kommen kann, die noch nie in ihrem Leben etwas mit moderner Kunst zu tun hatten.
Jesses. Ich hatte jetzt einen Tag Zeit, um den Film zu verdauen, aber ich könnte schon wieder an die Decke gehen.
Am Ende geht unser Philosoph an die Beerdigung von Luigi und da wird endgültig klar, wessen Geist Orecchie ist: Der Philosoph hält eine kitschige Rede, in der er dem Konformismus ein Lob singt. Und nein, da gibts keine Spur von Ironie oder Sarkasmus. Er ist ein grummeliger Zyniker, der alle anderen Leute für dumm hält und keine Kompromisse eingehen will — jedenfalls wird das behauptet, aus der Handlung selbst wird das nur rudimentär ersichtlich –, aber dank den Begegnungen an diesem Tag lernt er, dass zu viel Denken nur unglücklich macht. Und dass Atheisten einsam sterben, im Gegensatz zu Gläubigen. Ja, ich schwöre, das ist weder ironisch noch sarkastisch gemeint. Der Film ist wirklich so spiessig. Aussagen des Regisseurs in Interviews decken sich damit.
Ich halte ja auch nicht viel von diesem Zynismus à la The Catcher in the Rye („Ihr seid alle Schafe, Mann!“), über den man hinauswachsen sollte, sobald man die Teenagerjahre hinter sich hat. Aber eine kritische Auseinandersetzung damit müsste auf einer intellektuellen Ebene stattfinden, auf der sich Orecchie zu keiner Sekunde bewegt.
Und ja, im übertragenen Sinn kann man den Film wie folgt lesen: „Hör auf, dich über schlechte Witze aufzuregen! Hör auf, über Botschaften nachzudenken! Lach einfach! So wie alle anderen! Lach einfach! Lach! Lach! LACH!“
HAHAHAHAHAHAHAHAHA!!!!
Ein ähnlicher, aber guter Film ist übrigens Oh Boy.