«Smoke»: Raucher in der Filmkammer des Schreckens

Return of the Filmkammer des Schreckens! Es geht diesmal um Smoke (1995), einen US-Independent-Film, eine Zusammenarbeit des Regisseurs Wayne Wang mit dem Schriftsteller Paul Auster (basierend auf einer Kurzgeschichte desselben).

Im Zentrum des Films steht ein Tabakwarenladen in Brooklyn, um den herum sich verschiedene Alltagsgeschichten entspinnen. Harvey Keitel spielt den Ladenaufseher Auggie, William Hurt einen Schriftsteller, der zu dessen Kunden gehört – und eine Art Alter Ego von Paul Auster ist.

Keiner von uns Filmkammer-Sprechern raucht, aber vielleichts ists ja trotzdem von Interesse, was wir zu sagen haben.

Als Bonus empfehle ich übrigens die erwähnte Kurzgeschichte, die der Ursprung von Smoke ist: Auggie Wren’s Christmas Story.

Und hier ist das Interview mit Paul Auster, in dem er unter anderem über cinematic humanism spricht: Paul Auster on Smoke.

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Kinorückschau 2022: Die Mozartkugeln für die Seele

Die schlechtesten Filme des vergangenen Jahres haben wir bereits hinter uns gebracht, jetzt kommen die besten.
Wo ich schon mal was über den entsprechenden Film geschrieben hab, gibts eine Verlinkung.
Nun aber los.
 
 

9. Soul of a Beast
Liebesfilm von Lorenz Merz, CH 2021, 100 Min.

Ein alleinerziehender junger Vater verliebt sich in die Freundin seines besten Freundes: Das wird erzählt als eine märchenhafte Lovestory mit tollen Bildern, Anspielungen auf Wong Kar-wai, Samuraifilme und Co. Zürich hat noch nie so aufregend ausgesehen. Genau mein Ding.

Auf der anderen Seite: Die Begeisterung für den Film hat mir selbst eine (nicht ganz unberechtigte) Kritik von der WOZ eingebracht. Autsch.

 
 
8. Corsage
Historienfilm von Marie Kreutzer, Ö/Lux/D/F 2022, 112 Min.

Sisi modern: Vicky Krieps spielt die Kaiserin als alternde Regentin, die die Schnauze voll hat von ihrem Job. Wobei sie in ihrem Aufbegehren längst nicht immer sympathisch rüberkommt.
Nebenher ist Corsage als Historienfilm interessant, weil er Historienfilme als solche hinterfragt, etwa mit dem bewussten Einarbeiten von Anachronismen.

Kommenden März startet übrigens Sisi & ich von Regisseurin Frauke Finsterwalder (Finsterworld). Der dürfte auch interessant werden.

 
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Kinorückschau 2022: Die Kröten, die man schlucken muss

Jetzt ist es wieder passiert: Zwölf Monate sind rum! Für mich ein Anlass, einen Blick zurück aufs vergangene Kinojahr zu werfen. Das Konzept bleib sich gleich: Erst die Filme, die ich schlecht fand, danach die guten.
In der Worst-Kategorie haben sich sechs Kandidaten durchgesetzt, in der Best-Kategorie werdens ein paar mehr sein. Naja, fangen wir an.

 

Tadelnde Erwähnung: Rotzbub: Willkommen in Siegheilkirchen
Animationsfilm von Marcus H. Rosenmüller und Santiago López Jover, Österreich 2021, 85 Min.
Eine animierte Kindheitsgeschichte im Österreich der Nachkriegszeit, lose basierend auf dem Leben und Werk des Cartoonisten Manfred Deix (1949–2016). Deix malte sehr kunstvoll menschliche Hässlichkeit, im Film ist davon die Hässlichkeit übrig geblieben. Dazu gibts seichte Satire und abgeschmackte Komik. Filmische Leichenfledderei.

Bin nach einer halben Stunde aus dem Kino raus, daher kriegt das Machwerk keinen offiziellen Schlechtesten-Platz. Heisst umgekehrt: So übel das restliche Zeug auf der Liste auch ist, zumindest hab ichs bis zum Abspann durchgehalten.

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Versteckt in der Filmkammer des Schreckens

Dieses Mal in der gefürchteten Filmkammer des Schreckens: Wir sprechen über Michael Hanekes Thriller Caché (2005).

Darin kriegt ein bildungsbürgerliches Ehepaar (Juliette Binoche, Daniel Auteuil) plötzlich Videokassetten zugeschickt, darauf Aufnahmen ihres eigenen Hauses. Wer hat gefilmt? Und was ist der Zweck der Kassetten?
Der Mann hat eine leise Ahnung. Seine Recherchen führen ihn in seine eigene Vergangenheit.

B-Film Basterds Berlin 2022: Plakat-Ponanza

Vor einiger Zeit fand das B-Film-Basterds in Berlin statt – wir haben darauf hingewiesen.
Leider hatte ich keine Gelegenheit, um selbst hinzugehen (das gleichzeitig stattfindende Zurich Film Festival hats verhindert). Aber im Geiste war ich doch irgendwie dabei, denn immerhin hab ich das Festivalplakat gezeichnet. Und das hing dann dort im Sputnik.

Besagtes Sputnik hab ich vor Jahren mal besucht (es lief das japanische Hip-Hop-Gangster-Musical Tokyo Tribe), und ich halte es für eins der coolsten seiner Zunft. Das Wissen, dass mein Plakat dort hing, gibt mir ein warmes Gefühl.

Meisterfotograf Andreas König hat den Anlass abgelichtet und war so nett, mir ein paar Schnappschüsse zur Verfügung zu stellen. Hier sind sie!

Halloween 2022: «Mr. Vampire»

Dieses Halloween werfen wir den Blick mal gen Osten, nämlich nach Hongkong. Wo wir es mit dem traditionellen chinesischen Hüpfvampir zu tun bekommen.

Der Fachbegriff lautet Jiangshi, zu Deutsch ungefähr: starrer Leichnam. Gemeint sind weitgehend hirntote Untote, die als Wiedergänger die Lebenden behelligen und sich von ihrer Energie (dem Qi) ernähren. Weil sie halt Leichname sind – Todesstarre, Verwesung und so –, sind sie in ihrer Bewegungsfähigkeit stark eingeschränkt. Weswegen sie sich hüpfend und (zur Balance) mit ausgestreckten Armen fortbewegen.

Weitere typische Merkmale sind lange weisse Haare, lange scharfe Fingernägel sowie die traditionelle Grabkleidung, die an alte Beamtenuniformen erinnert.

Vampire, die hüpfen – ist das überhaupt gruselig? Auf die Frage kommen wir noch zurück.

Jiangshi im heutigen Sinne wurden während der Qing-Dynastie (1616–1912) erfunden, auch wenn die chinesischen Totenkulte, aus denen sich die Untotenlegenden entwickelt haben, ein paar Jahrhunderte weiter zurückreichen.

 
Hüpfvampire im Kino

Ihren cinematischen Durchbruch hatten die Jiangshi relativ spät, nämlich mit unserem heutigen Film, Mr. Vampire (im Original Geung si sin sang, also eigentlich Mr. Jiangshi). Der war 1985 äusserst erfolgreich, erhielt vier Sequels und diverse Spin-offs und hat eine ganze Lawine von Jiangshi-Werken losgetreten. (Ein guter Teil davon ist unter Ricky Laus Rigide entstanden.) Anscheinend war das Zeug besonders in Japan populär.

Hinter dem Erfolg stecken Regisseur Ricky Lau und Produzent Sammo Hung. Letzterer war ein Schwergewicht des Hongkong-Kino-Booms der 70er und 80er, war unterwegs als Kampfchoreograf, Schauspieler, Regisseur und eben Produzent, ein Kumpel von Jackie Chan seit ihrer gemeinsamen Zeit in der China Drama Academy. Hungs Gimmick als Schauspieler: Er war athletisch, aber fett. Einer seiner erfolgreichsten Filme: Enter the Fat Dragon (1978). (Wie gesagt: ein Schwergewicht des Hongkong-Kinos.)

Sammo Hung war bedeutend für die Entwicklung der Kung-Fu-Komödie und insbesondere für die der Kung-Fu-Horror-Komödie. Von ihm stammt einer der ersten derartigen Streifen, Encounters of the Spooky Kind (1980), wo er neben der Regie auch die Hauptrolle innehatte – bereits hier stösst sein Held auf einen Jiangshi.

Will sagen, Mr. Vampire war nicht der erste Jiangshi-Film (das war wohl Midnight Vampire von 1936), aber der bahnbrechendste für sein Genre.

Soweit alles klar? Schauen wir mal, wie das im Konkreten ausschaut.


 
Kapriolen in der Leichenhalle

Wir befinden uns in einer Kleinstadt in China. Da die später gezeigten Polizisten den Stern der Beiyang-Armee tragen, muss es die späte Qing-Dynastie oder die frühe Republik China sein.

Also, jedenfalls sind wir in einer chinesischen Kleinstadt, und zwar in der örtlichen Leichenhalle. Was grundsätzlich mal ein guter Ort ist, um einen Horrorfilm zu beginnen. Nacht ist es auch noch, und draussen heulen Wölfe.

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«Occhiali neri»: Ein Horrormeister will nicht in Rente gehen

Mit seinen 81 Jahren und nach einer Dekade Pause hat Dhario Argento noch einmal einen Film gedreht. Und zwar einen richtig, richtig schlechten. Alle Achtung.

Occhiali neri (Dark Glasses) fängt eigentlich gar nicht so furchtbar an, nämlich mit einer Sonnenfinsternis, von Rom aus gesehen. Schöne Bilder (Kamera: Matteo Cocco), gute Musik (Arnaud Rebotini). Zwar nicht zu vergleichen mit dem, was Argento zu seinen besten Zeiten hinbekommen hat, aber eine Bemühung ist spürbar.

Der positive Eindruck hält bis zum ersten Mord.

Eine Edelprostituierte verlässt ein Luxushotel und macht sich auf den Heimweg. Da wird sie von einem Killer in eine Hecke gezogen und mit einem Kabel gewürgt. Am Ende stolpert sie mit einer durchgescheuerten Kehle davon und verblutet auf dem Gehweg. Zufällig anwesende Passanten geraten aus dem Häuschen. Ein Hotelpage sieht einen Lieferwagen davonbrausen.

Das Sterben ist breit ausgewalzt. Viele Nahaufnahmen auf die blutende Wunde. Inszenatorisch konsequent einfallslos. Es stinkt nach Amateurfilm.

Argentos Schaffen war immer schon fragwürdig, was die Darstellung von Gewalt an Frauen anbelangt. Das hat sich nicht geändert. Früher hat er seinen Fetisch immerhin noch ästhetisch imposant auf Kamera bannen können, das ist aber auch schon ein Vierteljahrhundert her. Der einstige Horrormeister (Suspiria) ist ein Relikt aus einer Epoche, die er nur unzulänglich heraufzubeschwören vermag.

 
Worum gehts überhaupt?

Die Handlung dreht sich um Diana (Ilenia Pastorelli), ebenfalls Sexarbeiterin. Nachdem der Killer ihre Kollegin gemeuchelt hat, hat er es nun auf sie abgesehen. Sie wäre bereits sein viertes Opfer.

Allerdings: Sie entkommt seinem Mordanschlag mit ihrem Auto. Der Killer rast ihr in seinem Lieferwagen hintendrein. Am Ende der Verfolgungsjagd kollidiert sie mit einem anderen Wagen, darin eine chinesischstämmige Familie. Mutter und Vater sterben, ihr zehnjähriger Sohn Chin kommt ins Heim.

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Mit Rutger Hauer in der Filmkammer des Schreckens

Matthias und Sebastian von Megalife Radio Podcasts haben mich wieder in die Filmkammer des Schreckens gezerrt, wo wir uns über The Mill and the Cross (2011) unterhalten haben.
Das ist ein Film des polnischen Regisseurs Lech Majewski, ein Essayfilm über das Gemälde Die Kreuztragung Christi. Dessen Maler, Pieter Bruegel der Ältere, wird von Rutger Hauer gespielt – was für sich allein schon ein Grund ist, um sich mit dem Werk auseinanderzusetzen.

Mit den Werckmeisterschen Harmonien in der Filmkammer des Schreckens

Matthias, Heiko und Sebastian von Megalife Radio Podcasts sind schuld: Sie haben mich wieder in die Filmkammer des Schreckens gezerrt – und dort dazu gezwungen, über Die Werckmeisterschen Harmonien zu reden. Es handelt sich dabei um ein Werk des ungarischen Regisseurs Béla Tarr, der verehrt wird für seine fröhlichen, bonbonbunten Feelgood-Movies.

An einer Stelle versuche ich, Musiktheorie zu erklären, und das Ergebnis dürfte jedem Menschen, der auf dem Gebiet bewandert ist, kalte Schauer über den Rücken jagen. Sorry!

«Judex»: Unaufgeregtheit und Vogelmasken

Mit Judex hat sich Regisseur Georges Franju (1912–1987) Anfangs der Sechziger ein Remake geleistet. Er war ein Fan des Stummfilm-Pioniers Louis Feuillade, und der hatte in den 1910er-Jahren Abenteuer-Serials wie Fantômas und Les Vampires gedreht und eben auch den ursprünglichen Judex (1916).

Im Zentrum steht ein gewisser Judex («SchÜ-dex»), eine Art Batman-Vorgänger. Als verkleideter Rächer kämpft er für Gerechtigkeit, das heisst, er legt er sich mit einem verbrecherischen Banker an, bekommt es aber auch mit einem skrupellosen Kindermädchen und ihren Handlangern zu tun.

Franju dampft die zwölf Episoden des Originals auf Spielfilmlänge ein und hat sichtlich Spass daran, die Absurdität der Handlung auf die Spitze zu treiben. Da jagen sich Twists und Zufälle.
Einmal brauchen die Verbündeten von Judex dringend jemanden, der eine Hausmauer hinaufklettern kann – genau in dem Moment kommt eine Akrobatin mit ihrem Zirkus vorbei, die zudem noch freundschaftlich mit einem der Helden verbunden ist. Die Welt ist ein Dorf!

Das alles ist milde amüsant, insgesamt hält sich der Unterhaltungswert jedoch in Grenzen. Das Erzähltempo ist doch ziemlich gemütlich-grossväterlich, und die Inszenierung durchzieht eine Art Unaufgeregtheit, die dem Spannungsaufbau hinerlich ist. Schockmomente und Thrillerszenen fallen flach, die Kampfchoreografien sind ein Witz, die Figuren reagieren auf die Handlungsentwicklungen üblicherweise phlegmatisch.
Als etwa das böse Kindermädchen feststellt, dass sie und ihre Handlanger eingekesselt sind, und ihr Partner meint, man könnte vielleicht mal was machen, antwortet sie mit einem Schulterzucken. Ja, wieso nicht, könnte man mal. Schwierig, da mitzufiebern.

Und das hat nichts mit veränderten Sehgewohnheiten zu tun. Im Jahr zuvor war der erste Bondfilm erschienen, Fritz Lang und Alfred Hitchcock haben zur selben Zeit Abenteuerfilme gedreht, die nach wie vor fetzen.
Franju dagegen war ein Meister des poetischen Genrefilms – Les yeux sans visage (1960) gilt zurecht als Klassiker des Horrorgenres. Ein Abenteuerfilm und dieser intime Stil jedoch, das beisst sich.

Oder vielleicht liegts auch nur an mir. Es gibt genug richtige Filmkritiker:innen, die Judex für seine traumwandlerische Qualität loben. Mir erscheint das eher als schnarchlerische Qualität.

Eins muss man ihm lassen: Die Bilder sind fantastisch. Ein Highlight etwa ist die Maskenball-Szene, in der die Gäste mit Vogelmasken auftreten. Ein surreal-gruseliger Anblick. Hier funktioniert die träumerische Atmosphäre auch für mich. (Vorbild waren anscheinend die Werke von Max Ernst.)

Und da wär noch das böse Kindermädchen. Gespielt von Francine Bergé, ist diese junge Frau von einer beeindruckenden Kaltschnäuzigkeit und damit mit Abstand die interessanteste Figur im Film.
Zudem: Ihr hautenges schwarzes Einbrecher-Outfit, das vergisst man nicht so schnell. Quasi die erste Catwoman der Filmgeschichte (kurz vor Julie Newmars Version in der 60er-Jahre-Batman-Serie).

Judex
F 1963, 103 Min.
Regie: Georges Franju
Drehbuch: Georges Franju, Jacques Champreux, Francis Lacassin
Mit Channing Polock, Francine Bergé, Édith Scob, Michel Vitold et al.