Kannibalismus im Internet

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Roman Bucheli, Feuilletonredaktor und Literaturkritiker bei der NZZ, regt sich auf über den gegenwärtigen Stand der Literaturkritik: Den Kannibalen fallen die Zähne aus.

Mehr denn je hat die Literaturkritik Massstäbe und Maximen verloren. Wer wüsste noch, was sie soll oder will, geschweige: müsste. Und wer, wenn er es wüsste, wagte, danach zu handeln? Die Kritik hat an Profil verloren – und damit an Relevanz im intellektuellen Diskurs und an Einfluss auf das literarische Geschehen. Sie hat sogar vergessen, dass sie Einfluss nehmen kann und soll. Sie ist müde und matt geworden.

Da musste ich an Tilmann Lahme denken, der 2011 in der Neuen Rundschau (Heft 1, S. 57-73) Folgendes herausgearbeitet hat:

Fassen wir zusammen: Die Literaturkritik steckt in der Krise. Ihr Niveau ist erbärmlich. Die Kritiker sind nicht nur inkompetent, sndern meist auch boshaft und neidisch. Das, was man als gute Kritik gelten lassen könnte, wird an den Rand gedrängt.
Und all das war schon immer so.

Denn wie Lahme aufzeigt: Bereits Adorno, Friedrich Sieburg oder Tucholsky haben jeweils zu ihrer Zeit den Kopf geschüttelt, wenn sie an die Literaturkritik dachten. Tucholsky: „Was die deutsche Buchkritik anbelangt, so ist sie auf einem Tiefstand angelangt, der kaum unterboten werden kann.“
Schon allein der Hinweis darauf, dass die Krise der Literaturkritik so alt wie die Literaturkritik selbst ist, ist schon wieder ein alter Hut.

Roman Bucheli weiss das wahrscheinlich auch, also ist es ein wenig enttäuschend, wenn er jetzt eine Krise statuiert, als wäre er der erste, dem das jemals eingefallen wäre. Übrigens ist in derselben Ausgabe der Neuen Rundschau mit Lahmes Text auch ein Text von Bucheli abgedruckt (S.10), ein Thesenblatt mit zehn Punkten. In den letzten beiden Punkten schält sich sein Verständnis von Kritik heraus:

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Gastbeitrag: „Die Engagierten Zuschauer“

[Es handelt sich hier um einen Gastbeitrag des Kritikerclubs, der ursprünglich hier zuerst veröffentlicht wurde; gleichzeitig ist das ein Veranstaltungshinweis für deren Abschlusspräsentation diesen Freitag, 27.5. ab 19 Uhr im Literaturhaus.]

I

Es gehört zu meinen Pflichten, Schönes zu vernichten als Musikkritiker, Sollt ich etwas Schönes finden, Muß ich’s unterbinden als Musikkritiker. Mich kann auch kein Künstler überlisten, Da ich ja nicht verstehe, was er tut.“

(Georg Kreisler, Der Musikkritiker)

 

Kreislers Abrechnung mit den Musikkritikern ist selbst eine Kritik. Er drischt zwar auf dem Vorurteil herum, aber es ist ergötzlich. Auch wenn sich die Kritik seit den 60ern gewandelt hat (und vor allem die Kritiker und Kritikerinnen: Es gibt überhaupt mehr von zweiteren und erstere sind nicht mehr so alt und arrogant wie sie früher waren), so lebt das Vorurteil weiter. Es soll jetzt nicht darum gehen, dieses Vorurteil zu bedienen, aber ich möchte es doch als äussersten Punkt nehmen, von dem ich beginne. Es soll darum gehen, wie das Verhältnis zwischen Kritik und Publikum auch beschaffen sein könnte.

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