Kinorückschau 2023: Der gute Stoff

 
Meine unliebsten Filme des Jahres hab ich bereits aufgelistet, kommen wir zu meinen Lieblingen. Im Nachhinein fällt mir auf, dass 2023 ein verdammt guter Jahrgang war, jedenfalls hab ichs nur mit Schwierigkeiten hinbekommen, mich auf 10 zu beschränken. Dafür gibts auch einen ganzen Haufen lobender Erwähnungen.

Dort, wo ich schon mal über den jeweiligen Film geschrieben hab, gibts eine Verlinkung. Nun aber los!
 
 

Streaming-Tipp des Jahres

What Shall We Do With These Buildings?
Dokumentarfilm von Jonathan Ben-Shaul, UA 2021, 28 Min.

Ich bin, nach wie vor, in erster Linie ein Kinomensch und schau mir eher selten was im Streaming an – aber den hier wollte ich weiterempfehlen. Die Kurzdoku fragt nach den architektonischen Überbleibseln der Sowjetzeit in der Ukraine, und wie die Menschen damit umgehen. Bald nach dem Abschluss der Dreharbeiten begann die russische Invasion, die meisten der gezeigten Gebäude wurden inzwischen bombardiert.

What Shall We Do stellt fünf Gebäude vor, eine oder mehrere Personen geben jeweils ihren Kommentar ab. Es geht um sozialistische Ideale, um ukrainischen und russischen Patriotismus, um die Sowjetunion und Putins Russland.
Ausserdem kriegt jedes Gebäude eine begleitende Tanzperformance (Choreographie: Mykola Naboka), die teils im Stil eines 80er-Jahre-Musikvideos abgefilmt ist. Das macht aus einer interessanten Doku eine geniale Doku.

Die Doku kann man auf Architheka ausleihen, der Plattform der Architektur-Filmtage. Kostet nur knapp 4 Franken, lohnt sich.
Ebenso lohnenswertes, aber kostenloses Begleitmaterial: dieses Hintergrundgespräch mit Jonathan Ben-Shaul und Mykola Naboka. Sie erzählen von der Entstehung des Films und der Geschichte der Ukraine.

 

Lobende Erwähnungen

Vincent doit mourir
Horrorkomödie von Stéphan Castang, F/B 2023, 115 Min.
Bürohengst Vincent (Karim Leklou) entdeckt, dass urplötzlich irgendwelche Leute ausflippen und ihn umbringen wollen. Er ist aber nicht der einzige, dem das passiert, und bald gibts eine Welle von anscheinbar völlig unmotivierten Tötungsversuchen. Teils witzig, teils apokalyptisch gruselig.
Nur eins nervt: Vincent merkt bald einmal, dass der Morddrang anderer Leute durch Augenkontakt erwacht. Wieso, verdammt nochmal!, versucht ers nie mit Sonnenbrillen oder Augenbinden? Boah!

Napoleon
Historienkomödie von Ridley Scott, USA/GB 2023, 158 Min.
Spätestens mit der Szene, in der Napoleon auf die Pyramiden schiessen lässt, sollte klar sein, dass dieser Film sich keinen Deut um historische Akkuratesse kümmert. Mal abgesehen davon, dass das sowieso eine Komödie ist, die Napoleon zum Paten aller toxischen Männer stilisiert.
Joaquin Phoenix als Napoleon und Vanessa Kirby als Joséphine sind das spannendste Leinwand-Paar des Jahres.
Aber der Film wirkt etwas überhastet – ich bin gespannt auf die längere Streaming-Fassung.

Dungeons & Dragons: Honor Among Thieves
Fantasy von John Francis Daley und Jonathan Goldstein, USA/CAN 2023, 134 Min.
Dieser Film ist das, was die ganzen Marvel-Superhero-Spektakel gerne wären: Ein sympathischer, witziger und cleverer Abenteuerfilm, der von Anfang bis Ende bestens unterhält.
Die Helden-Bande im Zentrum besteht ja quasi aus Superheld:innen, soll heissen, sie alle – oder fast alle – haben magische oder sonstige Superkräfte. Der Erfolg ihrer Mission hängt allerdings davon ab, ob sie für die Hürden, die sich ihnen in den Weg stellen, kreative Umgehungen finden. Genau das macht den Film extrem charmant.
Schade bloss, dass Honor Among Thieves dieselbe triefende Sentimentalität wie die Marvel-Streifen hat.

Aggro Dr1ft
Experimentalfilm von Harmony Korine, USA 2023, 80 Min.
Ich hab den Film am Zurich Film Festival gesehen, und er hat uns alle im Saal ratlos zurückgelassen. Weiss noch immer nicht, ob ich entsetzt oder begeistert sein soll.
Jedenfalls hat Harmony Korine (Spring Breakers) einen ganzen verdammten Film ausschliesslich mit einer Infrarotkamera gedreht. Ausserdem werden die wenigen Dialogzeilen bis zur Sinnlosigkeit wiederholt. Handlung? Ein Killer legt sich mit einem dämonischen Gangsterboss an.
Lieblingszitat: «Julius Caesar wrote the Bible?»

The Eternal Daughter
Gruselfilm von Joanna Hogg, GB/USA 2022, 96 Min.
Eine Studie über Trauer im Hammer-Horror-Stil von der Regisseurin von The Souvenir (2019) mit Tilda Swinton in einer Doppelrolle als Tochter und Mutter. Wundervoll! Den Twist sieht man lange, lange vorher kommen, aber ich denke, er ist auch nicht als Überraschung geplant.
The Eternal Daughter lief im Filmpodium. Angedacht war eine Premiere mit Hogg und Swinton, leider fing sich die Schauspielerin Covid ein und musste zu Hause bleiben. Immerhin schaltete sie sich über Zoom zu.

Yo y las bestias
Musikdrama von Nico Manzano, VE 2021, 78 Min.
Ein junger Musiker wird aus seiner Band geworfen, also nimmt er kurzerhand ein Soloalbum auf, und zwar mithilfe zweier Musen – den sogenannten Bestias, die knallgelbe Burkas tragen. Überhaupt hat der Film eine grandiose Ästhetik, und der Soundtrack ist super (Regisseur Nico Manzano ist auch Musiker).
Ich glaub, bei keinem anderen Film hab ich derart Blut und Wasser geschwitzt wie hier, als der Protagonist nach Abschluss der Aufnahmen merkt, dass die externe Festplatte mit den Tondateien beschädigt ist. Uff.
Yo y las bestias ist nicht zuletzt ein Film über kreative Prozesse und Inspiration – das positive Gegenbeispiel zu Roter Himmel.

Sweet Dreams (Zoete dromen)
Historienkomödie von Ena Sendijarević, NL/SE/ID/RE 2023, 102 Min.
Eine Satire über die letzten Tage der niederländischen Kolonialherrschaft auf Indonesien. 1900 stirbt der Besitzer einer Zuckerplantage, sein Sohn und dessen schwangere Frau reisen aus Europa an – im Grunde will der junge Herr die Plantage bloss loswerden, aber das ist natürlich etwas komplizierter als gedacht. Fantastische Bilder von der Kolonialvilla und dem Dschungel, ein beeindruckender Elektro-Soundtrack von Martial Foe.

65
Science-Fiction-Abenteuer von Scott Beck und Bryan Woods, USA 2023, 93 Min.
Manchmal versteh ich die Menschen nicht: 65 wurde hart kritisiert und ging an den Kinokassen weitgehend unter. Dabei könnte der Film für das, was er ist, gar nicht besser sein: ein gradliniges Action-Abenteuer mit Adam Driver als Typ, der gegen Dinosaurier kämpft. Nicht unnötig lang, von Anfang bis Ende spannend, schnörkellos. Der perfekte B-Film.
Allein schon deswegen rühmenswert, weil das Dino-Design sich vom Jurassic Park-Vorbild emanzipiert.

 
Das wars mit den lobenden Erwähnungen. Kommen wir zu den eigentlichen Top-Filmen von 2023.
 
 
10. Babylon
Exzessive Hollywoodgroteske von Damien Chazelle, USA 2022, 181 Min.

Dieser Film hat ungefähr 160 Millionen Dollar gekostet und weltweit knapp 64 Millionen eingespielt. Ich hab so das Gefühl, das wars mit der Karriere von Damien Chazelle (La La Land). Was schade wäre, denn Babylon ist sein wohl bestes, zumindest aber sein interessantestes Werk.

Oscarpreisträger hin oder her, es ist kaum zu fassen, dass ein Studio Babylon finanziert hat: ein drei Stunden langes, völlig durchgeknalltes Porträt von Hollywood am Übergang vom Stumm- zum Tonfilm (natürlich spielt Singin‘ in the Rain eine wichtige Rolle).

Eine der ersten Szenen zeigt einen Elefanten mit Durchfall, der einen Typen von oben bis unten vollscheisst. Als nächstes kommt eine grossangelegte Orgie. Und irgendwann später kotzt die weibliche Heldin (Margot Robbie) einen Teppich voll, vor den Augen Hunderter Gäste.

Und ja, ich hab mich totgelacht. Witzigster Film des Jahres, mit Abstand.
 
 

9. Mami Wata
Mythisches Drama von C. J. «Fiery» Obasi, NG 2023, 107 Min.

2023 war das Jahr des nigerianischen Films, zumindest in der Schweiz. Die Kurzfilmtage Winterthur haben dem afrikanischen Land eine Reihe gewidmet, zu der unter anderem Regisseur C. J. Obasi angereist ist. Er hat etwa den Episodenfilm Juju Stories (2022) vorgestellt, an dem er selbst beteiligt war. Seine Episode dreht sich um moderne Hexen, die miteinander in Konflikt geraten. Eine wilde Mischung aus traditionellen Erzählungen und Superhelden-Genre.

Zuvor kam Mami Wata in unsere Kinos: Obasi nimmt die Mythen um die Göttin Mami Wata, konfrontiert sie mit den Konflikten des modernen Afrika, spielt mit Horrorelementen und lässt die Figuren ein eigens für den Film erfundenes Pidgin sprechen.
Dazu kommen überwältigend schöne Schwarzweissbilder. Die brasilianische Kamerafrau Lílis Soares wurde unter anderem am Sundance-Festival ausgezeichnet, wo Mami Wata seine Premiere feierte.

 
 
8. Past Lives
Liebesfilm von Celine Song, USA 2023, 106 Min.

Der schönste Liebesfilm des Jahres. Nora (Greta Lee) zog als Kind mit ihrer Familie von Südkorea nach Amerika und liess dort ihre Jugendliebe Hae Sung (Teo Yoo) zurück. Viele Jahre später besucht er sie in New York, wo sie inzwischen mit ihrem Mann Arthur (John Magaro) lebt.

Ein Film, der mit einer People-Watching-Szene in einer Bar beginnt, hat bei mir schon mal ein Stein im Brett. (Leute beobachten und ihr Verhalten zueinander interpretieren, das macht Spass.)
Vor allem ist Past Lives ein erwachsener Liebesfilm, mit Figuren, die wie Erwachsene handeln. Denn die Ehe von Nora und Arthur steht nie in Frage. Das ist keine Geschichte über ein albernes Liebesdreieck, sondern eine Meditation über die Entscheidungen, die wir im Leben treffen.
 
 

7. Sayonara Television
Dokumentarfilm von Koji Hijikata, J 2019, 109 Min.

Sayonara Television brauchte lange Zeit, bis er es von Japan in ein Zürcher Kino schaffte, und zwar im Rahmen des Ginmaku, des japanischen Filmfestivals, das 2023 nach einer langen Corona-Pause endlich wieder stattfinden konnte.

Regisseur Koji Hijikata arbeitet für die Newsredaktion eines TV-Senders und zeigt, wie dort gearbeitet wird. Es geht um Sparmassnahmen, Einschaltquoten, den Werbemarkt, Fake News und darum, wie sehr der Journalismus dabei unter die Räder kommt.
Als Angestellter des Tamedia-Konzerns musste ich mehrmals leer schlucken.

Aber Hijikata belässt es nicht dabei, sondern dreht seine Medienreflexion konsequent weiter und fragt auf clevere Art danach, inwiefern ein Journalist der Realität überhaupt gerecht werden kann.

 
 
6. Do Not Expect Too Much of the End of the World
Komödie von Radu Jude, Rum/Kroat/F/Lux 2023, 163 Min.

Stets am Rand der Erschöpfung, düst Angela (Ilinca Manolache) als Fahrerin für eine Produktionsfirma durch Bukarest und Umgebung. In der knappen Freizeit, die sie hat, trifft sie sich mit ihrem älteren Lover oder dreht Tiktok-Videos, in denen sie als Bobita auftritt. Dieser Bobita ist ein aufgeplusteter Chauvinist, eine Parodie auf Andrew Tate und ähnliche Idioten.
Apropos: Regisseur Uwe Boll, Müllregisseur (House of the Dead) und Internetgrossmaul, hat ein bemerkenswertes Cameo.

In den Film hineingeschnitten sind Ausschnitte aus dem rumänischen Klassiker Angela merge mai departe (1981). Dessen Hauptfigur heisst ebenfalls Angela (Dorina Lazăr), ist eine geschiedene Taxifahrerin in Bukarest und verliebt sich in einen Kunden (László Miske).
So richtig schön meta wirds, als Lazăr und Miske im gegenwärtigen Film gealterte Versionen ihrer damaligen Rollen spielen.

Eine dichte Satire aufs moderne Rumänien, die nicht zuletzt davon lebt, dass Hauptdarstellerin Ilinca Manolache eine ziemliche Naturgewalt ist.

Ich sah Do Not Expect … am Locarno-Filmfestival; am 29. Februar startet der Film in den Zürcher Kinos.
 
 

5. Fogo-Fátuo
Queeres Musikmärchen von João Pedro Rodrigues, Port/F 2022, 67 Min.

Prinz Alfredo (Mauro Costa) macht gegen den Willen seiner Familie eine Feuerwehr-Ausbildung und verliebt sich dabei in seinen Mentor Afonso (André Cabral).

Ein modernes Märchen von einer charmanten Künstlichkeit, mit packenden Tanzchoreographien und einer Szene, in der die Feuerwehrmänner schwule Versionen von klassischen Gemälden nachstellen, etwa «Blowjob des Feuerwehrmanns» von Caravaggio.

Und ganz nebenbei handelt Fogo-Fátuo von der Klimakrise. (Die Feuerwehrmänner bekämpfen katastrophale Waldbrände, und Alfredo zitiert einmal Greta Thunberg.)

 
 
4. De noche los gatos son pardos
Softsex-Krimi-Drama von Valentin Merz, CH 2022, 110 Min.

Ja, natürlich kommt ein Film auf meine Bestenliste, in dem eine Frau Sex mit einem Akkordeon hat.

Ein paar junge Leute drehen einen queeren erotischen Kostümfilm («Geht das mit etwas mehr Speichel?»), und das mitten im Wald. Sie alle haben auch jenseits des Sets was miteinander. Am Ende eines langen Drehtags stellen sie plötzlich fest, dass der Regisseur (Valentin Merz spielt sich selbst) verschwunden ist.

Die Polizei muss her. Die Filmerinnen und Filmer werden befragt, es gibt einige Enthüllungen, unvorhergesehene Wendungen, Filmgeschichts-Zitate, Zombies und Ti amo von Umberto Tozzi. Schräges Zeug, entstanden ohne Drehbuch. Genau mein Fall.
 
 

3. Les premiers jours
Dokumentarfilm von Stéphane Breton, F 2023, 77 Min.

Der französische Ethnologe und Filmemacher Stéphane Breton (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen kanadischen Schauspieler) hat mit der Kamera Seetang-Fischer begleitet, die an einem isolierten Strand in Chile arbeiten.

Man kommt sich vor wie in «Mad Max»: Die Männer (Frauen hats kaum welche) fahren in uralten Autos rum, die sie behelfsmässig selbst flicken. Sie bauen sich Hütten aus irgendwelchem Treibholz und Blechplatten, und zum Kochen verbrennen sie Plastikmüll. Und dann holen sie eben Seetang aus dem Meer, was aussieht, als würden sie ausserirdische Tentakelmonster fischen.

Ich sah den Film am Filmfestival Locarno, wo Breton erzählte, er sei fasziniert von Müll und Chaos. Der Titel spielt auf den Beginn der Welt an, und den sieht man in der Wildheit der Natur. Aber genau so erzählt der Zivilisationsmüll vom möglichen Ende der Welt.
Unter anderem wollte Breton zeigen, dass alle Menschen ihr Leben auf eine künstlerische Art organisieren. Wenn sie Autos flicken oder Häuser bauen, sind sie kreativ. Das offensichtlichste Beispiel: Einer der Fischer verbringt seine Freizeit damit, Schrott-Skulpturen zu bauen.

Was den Film aber endgültig zum Glanzstück macht, ist sein Ton-Design. Stéphane Breton kollaborierte mit dem Musiker und Klangkünstler Jean-Christophe Desnoux. Der Geräusche-Track ist eine Mischung aus Originalton und Klangkrach aus dem Studio. Hört sich an, als hätte Desnoux bei sich zu Hause einen Schrottplatz angelegt. Was ist noch Geräusch, was ist bereits Musik?

Teils ist der Ton synchron zu den Bilder und klingt realistisch, teils verläuft er asynchron und ist ganz offenbar unabhängig entstanden. Das ergibt immer wieder einen Verfremdungseffekt, der die Ausserirdischkeit des Strands und der Seetang-Kreaturen betont.
Zumindest in dieser Konsequenz hab ich das noch in keinem anderen Film erlebt (spontan kommt mir nur Miyazakis Wie der Wind sich hebt in den Sinn, der mit mundgemachten Geräuschen experimentiert).

 
 
2. Perfect Days
Alltagsdrama von Wim Wenders, D/J 2023, 123 Min.

Wim Wenders, Regisseur von Der Himmel über Berlin, hat jetzt eine Art Werbefilm über ein Toiletten-Projekt in Tokio gedreht. The Tokyo Toilet wurde ins Leben gerufen, um im Shibuya-Viertel schöne öffentliche Toiletten zu bauen und zu betreiben. Wenders wurde eingeladen, sich das anzusehen und vielleicht eine Reihe von Kurzfilmen zu machen. Herausgekommen ist dann eben Perfect Days.

Es ist das Porträt eines Toilettenputzers, dessen immergleiche Routine ab und zu durch kleine Dramen unterbrochen wird. Wenn etwa ein junger Mitarbeiter Geld von ihm schnorrt, um eine junge Frau auszuführen. Deswegen muss der alte Putzmann später eine seiner geliebten Musikkassetten verkaufen, um sich Benzin für seinen Wagen leisten zu können.

Dass das ein besonderer Film ist, merkt man schon daran, dass er sich viel Zeit nimmt, um die Toilettenputzerei abzubilden. Subtil kann man ein bisschen Gesellschaftskritik entdecken: Der Toilettenputzer wird öfters herablassend behandelt, auch von der eigenen Firma, und es fällt schon auf, dass er trotz voller Beschäftigung derart knapp bei Kasse ist. Als er erwähnte junge Mitarbeiter den Job von einem Tag auf den anderen sausen lässt, liegen die Sympathien bei ihm – weshalb soll er sich diese Arbeit antun, wenn er nicht einmal einen richtigen Lohn kriegt?

Ein stiller Film über ein ganz normales Leben und die Poesie kleiner Alltagsmomente, mit einem grandiosen Koji Yakusho in der Hauptrolle (den ich übrigens vor Jahren mal in Zürich interviewen durfte). Auf seine Art ist Perfect Days die Antithese zu Ridley Scotts Napoleon.
 
 

1. Mad God
Animationsfilm von Phil Tippett, USA 2021, 83 Min.

Okay, klar, Mad God feierte seine Kinopremiere bereits 2021 in Locarno. Aber er hatte seine Deutschschweizer Kinopremiere 2023 am Animationsfilmfestival Fantoche, und darum wird er hier gezählt.

Phil Tippett ist einer der bedeutendsten Trickspezialisten Hollywoods, wurde mehrmals mit dem Oscar ausgezeichnet. Für die alten Star Wars-Filme hat er das Go-Motion-Verfahren entwickelt, und er gehört mit seiner Arbeit an Jurassic Park zu den Pionieren der CGI-Technik.

Seit 1990 widmete er sich nebenher (mit Unterbrüchen) seinem ganz eigenen Werk, eben Mad God, einem go-motion-animierten Puppenfilm (mit vereinzelten Realfilm-Einschüben). So richtig eine Handlung hat das Ding nicht: Anfangs begleiten wir eine namenlose Figur in Schutzkleidung, die mithilfe einer Taucherglocke in eine Art Unterwelt hinabsteigt. Sie bewegt sich durch düstere Landschaften und Ruinen, entdeckt Maschinen und begegnet allerlei Kreaturen und Monstern. Unser Held scheint einen Plan zu verfolgen, aber dieser Handlungsfaden verläuft sich irgendwann und macht einer Reihe von Szenen Platz, die eher assoziativ als logisch verbunden sind.

Die Grundanlage erinnert an Junk Head, einen japanischen DIY-Stop-Motion-Film, der ebenfalls 2021 rauskam (Hier hab ich schon mal drüber geschrieben, und er kam auf meine Bestenliste 2021.) Aber Mad God ist dann halt doch das reifere Werk, technisch perfekt und inhaltlich herausfordernder, viel weniger einer konventionellen Struktur verhaftet.

Mad God ist ein Bilderreigen, an dem ich mich kaum sattsehen kann, und ich bin mehr als glücklich, dass ich ihn auf der grossen Leinwand erleben konnte. Für so was geh ich ins Kino.

 
 
Hier gehts zu den schlechtesten Filmen von 2023.
 
Und hier gehts zu den Kinorückschauen der vergangenen Jahre.

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