Skizzen von Lou: Dreissig Jahre und kein bisschen weise

Disclaimer: Das hier wird eine schlecht gelaunte Tirade. Man möge es mit Humor nehmen.

Skizzen von Lou ist der erste eigene Spiefilm von Lisa Blatter – die Filmemacherin ist Mitbegründerin von 2:1 Film, war beteiligt an Europe, She Loves, Heimatland, Die Böhms — Architektur einer Familie und an Off Beat. Alles Filme, die ich mochte.

Es dauerte kaum zwei Minuten, da war Skizzen von Lou bei mir untendurch. Da sehen wir die beiden Hauptfiguren irgendwo im Gebirge herumkraxeln, wozu sich eine weibliche Stimme aus dem Off meldet:

Ich sammle die Moment im Lebe, wo d alles anderi vergissisch und nur no bisch. Ich glaub ich bi süchtig derna. Isch das Glöck? Oder Freyheit? Viellecht beides? Glöck chamme ned erchläre. Entweder du häschs, oder du häschs ned.

So geht das dann eine ganze Weile. Ich habe zwei Anmerkungen dazu:
Erstens: „Glück kann man nicht erklären. Entweder du hast es, oder du hast es nicht“ — wer um alles in der Welt setzt solche Kalendersprüche an den Anfang seines Filmes und erwartet dann noch, ernst genommen zu werden? „Häsch gwüsst, dass ich tanze, wenn ich truurig be?“ – Leute, die sowas auf Facebook posten, entfreunde ich auf der Stelle.
Zweitens: Dieser ganze Eröffnungsmonolog ist ein Paradebeispiel für diese nervtötende Art von Pseudo-Schwyzerdütsch, das man so oft in deutschschweizer Filmen oder Popsongs hört. Wo man deutlich merkt, dass der jeweilige Text auf Hochdeutsch verfasst war und die Interpreten ihn einfach 1:1 in schweizerdeutsche Wörter übertragen haben. Deswegen gehe ich lieber zum Zahnarzt für eine Wurzelbehandlung, als dass ich mir einen Schweizer Tatort anschaue.

Davon abgesehen ist der Eröffnungsmonolog ganz einfach schludrig geschrieben. „Entweder du häschs, oder du häschs ned.“ Das ergibt im Kontext keinen Sinn. Heissen müsste das: „Entweder du bist glöcklich, oder du bisch ned glöcklich.“ Hier wurden schlicht die beiden Bedeutungen von „Glück“ durcheinandergeworfen (vielleicht sogar absichtlich in poetischer, bzw. wortspielerischer Absicht. Das macht es nicht besser).
Oder man nehme diese Stelle hier: „Ich weiss no, wie sich dini Huut afühlt. Din Groch. Dini Hand uf mim Buch.“ Ich weiss noch, wie sich dein Geruch anfühlt? Wie bitte? Was zum Teufel soll das heissen?

Nun könnte man sagen: „Diese Hauptfigur Lou [ihre Stimme ist das nämlich] weiss es halt nicht besser.“ Allerdings steht der Eröffnungsmonolog programmatisch für die gesamte Sprache des Films; die Figuren kommunizieren durchgehend in Kalendersprüchen und schlechtem Schweizerdeutsch. Was für einen Film, der sich um Authentizität bemüht, einigermassen fatal ist. Hier einige Beispiele:

Ich ha Züri nur im Sommer gern.

Sex isch eh dini Art zum mache, dass mer dich gärn het.

Mengisch wünsch ich mir, dass du mech liebsch. Und denn weder wott ich, dass ich dir eifach egal ben. Voll kendisch, oder?

Aber träume isch doch wechtig. — Jo, aber hend mer di gliiche Träum?

Und hier kommt meine Lieblingsstelle. Da hält Lou ihren Hund in den Armen, der gerade von einem Auto überfahren worden ist und nun ihm Sterben liegt. Ihr Freund Aro versucht sie wegzuholen:

Muesch sie jetzt los lo. — La mi los. — Chomm scho, Lou. — La mi los!

Wie man vielleicht gemerkt hat, geht es in Skizzen von Lou um eine Liebesgeschichte. Da hätten wir eben Lou (Liliane Amuat), die 29 Jahre alt und ein unsteter Geist ist. Sie hat keine feste Beschäftigung, keine feste Wohnung (sondern kommt bei Freunden unter) und eine feste Beziehung will sie schon gar nicht. Da lernt sie Aro (Dashmir Ristemi) kennen, der sich sehr wohl ein bisschen Stabilität, Ehe und Kinder wünscht – und wider Willen merkt Lou an sich, dass sie sich ernsthaft in Aro zu verlieben droht.

Der Film gibt sich, wie erwähnt, sehr authentisch: Er enthält wenig Filmmusik, dafür viele ausgewalzte Alltagsszenen und ist in einem dokumentarisch angehauchten Handkamerastil gehalten. Inzwischen hängt mir diese Filmsprache gründlich zum Hals heraus – das ist der Grundstil für junge unabhängige Filmemacher, denen nichts Besseres einfällt.
Was ich sagen wollte: Der Film gibt sich sehr authentisch, doch die Story folgt einer sehr simplen Hollywood-Dramaturgie: Der Konflikt besteht darin, dass sich das Mädchen und der Junge zwar mögen, das Mädchen jedoch vor dem commitment zurückschreckt – und das Mädchen schreckt vor dem commitment zurück, weil es sich anderen Menschen gegenüber nicht öffnen mag, und es mag sich anderen Menschen gegenüber nicht öffnen, weil es ein traumatisches Kindheitserlebnis hatte.
Dieser Konflikt führt dann pünktlich vor dem Finale zum Bruch (dem traurigen Höhepunkt des Films), bevor es im Finale zur Wiedervereinigung und zur Überwindung des Konfliktes kommt. Wie für einen solchen Film üblich, lernen wir nach und nach, worin das Kindheitstrauma des Mädchens besteht – bis schliesslich das Mädchen dem Jungen ihr gesamtes Kindheitstrauma erklärt und sich damit gleichzeitig dem Jungen gegenüber öffnet, womit sie ein commitment eingeht und womit das Happy End erreicht wäre.
Wie man sich vorstellen kann, ist das alles sehr voraussehbar und strunzlangweilig.
Es gibt dafür im Film dann auch eine eher plumpe visuelle Metapher: Lou trägt an ihrem linken Arm eine Art Strumpf, der eine grossflächige Brandwunde verdeckt. Als sie sich Aro gegenüber öffnet, also ihm quasi die inneren Wunden zeigt, zeigt sie ihm auch die Brandwunde.

Wie jede Liebesgeschichte, gell, so dreht sich auch Skizzen von Lou stark um die beiden Hauptfiguren – wobei ich mit Lou und Aro so meine Probleme habe. Sie gehen mir beide auf die Nerven. Lou wird im Verlauf des Filmes dreissig Jahre alt, legt jedoch die geistige Reife einer Zwölfjährigen an den Tag. Kindheitstrauma hin oder her, wer sich in dem Alter noch so aufführt, ist ein verlorener Fall.
Aro ist als Figur etwas nachvollziehbarer, zum grössten Teil aber das Paradeklischee einer Künstlerfigur. Als sich Lou von ihm trennt und abhaut, reagiert Aro, indem er sich den Kopf rasiert und mit nacktem Oberkörper auf einer Leinwand herumrutscht, um mit einem Kohlestift seine Frustration herauszumalen. Er hantiert mit der Kohle wie ein psychisch gestörter Kindergärtler, der im Rahmen einer therapeutischen Massnahme seine Wut mit roter Wachsfarbe zu Papier bringt. Ich hätte mich fast totgelacht.

Nachdem sich Lou und Aro kennengelernt haben, spielen sie mal ein Fragespiel miteinander, so à la „Acho oder abfahre?” – „Abfahre.“ Das hat mich äusserst ungut an Phil Hayes‘ These Are My Principles… erinnert. Kann ich das Skizzen von Lou zum Vorwurf machen? Ja, kann ich.

Ansonsten sind die beiden Hauptfiguren ebenso nachlässig geschrieben wie die Dialoge oder die Geschichte. Einmal haben Lou und Aro einen grossen Streit, in dessen Verlauf Lou dem Aro vorwirft, er habe nur deswegen noch keine Ausstellung bekommen, weil er nicht dazu in der Lage sei, etwas ernsthaft durchzuziehen. Potentiell ein Moment, der betroffen machen könnte – allerdings ist bis dahin nie etabliert worden, dass Aro Schwierigkeiten hat, eine Ausstellung zu bekommen. Lous Satz kommt aus dem Nichts und der Moment fällt flach auf die Schnauze.

Ab und zu hört oder liest man, Skizzen von Lou sei das Porträt einer Generation. Einer Generation, die entscheidungsschwach sei und sich nicht binden möge. Die Generation Maybe. Zum einen stamme ich genau aus dieser Generation und frage mich, wer sich diesen Blödsinn bloss ausgedacht hat – die meisten Leute aus meinem Umfeld sind in festen Händen, verheiratet oder bereits am Kinderkriegen. Ganz zu schweigen von dem ländlichen Umfeld, aus dem ich ursprünglich stamme – da haben die Leute meiner Generation schon drei Kinder und ein Eigenheim.
Zum anderen trifft das auf den Film gar nicht zu, denn die einzige Figur in Skizzen von Lou, die diesem dummen Bild der Generation Maybe entspricht, ist eben Lou. Es ist ja gerade das Thema des Films, dass sich Lou als einzige nicht binden mag. Es ist also nicht vonnöten, Skizzen von Lou zum Porträt einer Generation zu erklären und den Film damit wichtiger zu machen, als er es verdient.

Dies alles gesagt: Skizzen von Lou wird von der Kritik zum grössten Teil gefeiert, Liliane Amuat ist gar für den Schweizer Filmpreis als beste Hauptdarstellerin nominiert. Kann also sein, dass ich einfach ein missgünstiger Idiot bin und den Film nicht verstanden habe. (Hm, das sollte ich all meinen Kritiken voranstellen.)

Skizzen von Lou
Schweiz 2016, 82 Min.
Regie & Drehbuch: Lisa Blatter
Mit Liliane Amuat, Dashmir Ristemi et al.

Offizielle Webseite zum Film

2 Gedanken zu “Skizzen von Lou: Dreissig Jahre und kein bisschen weise

  1. Ist es böse, ist es Häme?
    Nein, weil es den Finger in die Wunde legt und darin stochert – um hernach zu zeigen, dass es keine Wunde ist und das Geschrei nicht gerechtfertigt ist, sondern bloss eine Blessur.
    Der Verdacht bei solchen Urban-Milieu-filme, in denen unbeholfene Figuren sich unfähig zu Beziehungen zeigen und denken, dass das Schlimmste ist, das ihnen geschehen könnte, nicht geliebt zu werden: Dass hinter solcher Produktion Leute aus einem urbanen Milieu stehen, die unbeholfen und unfähig zu Beziehungen sind und sich vorstellen, dass das Schlimmste, was geschehen könnte, nicht geliebt zu sein. Und darum einen Film machen.
    Wenn solches reflektiert wird (und sei’s auch nur ironisch), kann selbst so ein Film klappen. Wenn es einfallslos etablierte Formen (shakey cam) reproduziert und die Komplexität des Zwischenmenschlichen nicht mittels des eigenen Mediums einfangen kann sondern durch Kalendersprüche banalisieren muss, verhärtet sich das Gefühl des Verdachts. „Lebe erst mal!“ sagt die Elbe Beckmann, oder banaler: Wer’s nicht besser weiss – einfach mal Klappe halten.
    Ich würde mich auch aufregen, von Gleichaltrigen Liebes- und Lebenslektionen zu erhalten, die selber wieder wie aus dem Oberstübchen von Teens daher kommen. Das Wort „altklug“ fasst das Problem sehr schön zusammen.
    In dem Sinne ist der Film durchaus das Zeugnis eines urbanen (Film-)Kunst-Milieus, das altklug denkt, altbackene Vorstellungen in sich trägt und reflektionsarm sich der Welt annähert und letztlich am Liebsten in die Arme genommen werden möchte. Solche Probleme sollten ernst genommen werden, aber ihre Lösung liegt wohl eher im Zwischenmenschlichen als dass diese sich über das Medium Film aufheben könnten…

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    • Ja, der Film wirkt sehr unreflektiert; dem eigenen Medium und dem eigenen Gefühlshaushalt gegenüber, und irgendwie unreif (auch abgesehen davon, dass die Hauptfigur ja gerade unreif sein soll).
      Blatter hat ja eigentlich an Filmen mitgearbeitet, die überhaupt nicht so sind. Weiss der Teufel, was da passiert ist.

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