Über den Alpen braut sich eine Wolke zusammen. Grösser und grösser wird sie, bis sie sich schliesslich über die ganze Schweiz ausbreitet. In der Wolke bauen sich gewaltige Ladungen auf; die Experten sagen einen Gewittersturm voraus, wie es nie zuvor einen gegeben hat. Panisch verstecken sich die Menschen in Bunkern. Einige versuchen, in die EU zu flüchten — doch die europäischen Nachbarn machen die Grenzen dicht, um den eidgenössischen Flüchtlingsströmen Herr zu werden.
Ja, es gibt gewisse Parallelen zu Emmerichs The Day After Tomorrow.
Während die Wolke wolkt, reagieren die Leute unterschiedlich auf die angekündigte Katastrophe:
- Der Leiter einer Kaufhausfiliale bemüht sich, die Panikkäufe in geordnete Bahnen zu lenken — notfalls mit Gewalt.
- Weil gewaltige Schäden zu erwarten sind, ruft der Verwaltungsrat einer Versicherung eine Krisensitzung ein. Doch ein wichtiges Mitglied fehlt.
- Erinnerungen an einen toten Asylanten holen eine Polizistin ein.
- Zwei Mädchen sperren sich in eine Wohnung ein und ergehen sich in archaische Rituale.
- Eine alte Frau füttert ihren Vogel.
- etc.
Triumph des Willy
Das Timing ist ziemlich gut: Die SVP ging aus den letzten Wahlen nicht zuletzt als grosse Siegerin hervor, weil sie die Angst vor ausländischen Flüchtlingshorden heraufbeschwor („Das Asylchaos fliegt Bundesrätin Sommaruga um die Ohren“).* Nun dreht Heimatland den Spiess um und hält den braven Eidgenossen die eigene Unmenschlichkeit vor. Der Applaus von linker Seite ist den Filmschaffenden sicher, während Bürgerliche den Film geflissentlich ignorieren oder bestenfalls als Propaganda abfertigen.
*Der Rest vom Erfolg geht auf Willys Konto
Überrascht vom eigenen Mut
Michael Krummenacher und Jan Gassmann sind die künstlerischen Leiter dieses Projekts, das zehn junge Filmschaffende (Jahrgang ’76 bis ’85) aus der West- und Deutschschweiz versammelt. Im Presseheft schreibt Gassacher-Krummenmann:
„Basisdemokratisch“ ist hier das Stichwort: Statt dass sich Brüche zwischen subjektiven Perspektiven auftun würden, wirken die Geschichten wie aus einem Guss. Da kann man sich schon fragen, wofür es nun zehn RegisseurInnen brauchte — Robert Altman hat seine Ensemblefilme ja auch alleine hingekriegt. Typisch Schweiz: Konkordanz und Konsens. Am Ende herrscht die latente Mittelmässigkeit.
Währenddessen in Portugal
Am Ende kann man froh sein, dass Heimatland allem Kollektivismus zum Trotz ein halbwegs gelungener Film mit ein paar guten Pointen geworden ist. Doch ach! — am selben Tag kommt auch 1001 Nacht, Teil 1: Der Ruhelose in die hiesigen Kinos — ähnlich wie Heimatland eine Mixtur aus nationaler Bestandesaufnahme (halt für Portugal statt für die Schweiz) und märchenhaften Elementen, bestehend aus mehreren Geschichten. Nur künstlerisch viel spannender und tiefsinniger in der politischen Analyse. Und natürlich: 1001 Nacht hat bloss einen Regisseur.
Heimatland läuft ab dem 12. November in den Zürcher Kinos.
Regie: Jan Gassmann, Michael Krummenacher et al.
CH 2015, 99 Min.
Mit Luna Arzoni, Nicolas Bachmann, Egon Betschart, Soumeya Ferro-Luzzi et al.