ZFF 2017: Brigsby Bear

Brigsby Bear
Regie: Dave McCary
Drehbuch: Kevin Costello, Kyle Mooney
USA/China 2017; 97 min.
Special Screenings

Stell dir vor, du bist 25 Jahre alt. Dein ganzes Leben hast du mit deinen Eltern in einem Bunker verbracht. Du bist ein riesiger Fan von Brigsby Bear, einem magischen Bären, der viele Abenteuer erlebt und den bösen Sun Snatcher bekämpft.
Eines Tages überfallen seltsame Menschen dein Heim. Sie sagen dir, dass die Luft in der Aussenwelt gar nicht giftig ist. Und sie verhaften deine Eltern — denn angeblich sind das gar nicht deine Eltern, sondern Verbrecher, die dich als Baby entführt haben.

So ergeht es James, gespielt von Kyle Mooney. Selbiger (also Mooney) ist auch fürs Drehbuch verantwortlich. Mooney hat ein paar Jahre für die Comedy-Liveshow Saturday Night Life gearbeitet, weswegen es auch nicht weiter überrascht, dass in einer Nebenrolle plötzlich Ex-Kollege Andy Samberg (Brooklyn Nine-Nine) auftaucht.

Die Prämisse von Brigsby Bear erinnert an Blast from the Past, diesen Film, in dem Brendan Fraser einen jungen Mann spielte, der fast sein ganzes Leben in einem Atombunker verbracht hat in dem Glauben, draussen herrsche nuklearer Winter. Wo aber Blast from the Past den Weg der romantischen Komödie wählte und ziemlich seicht war, ist Brigsby Bear eine Tragikomödie, bei der einem schon die eine oder andere Träne über die Wange läuft.
Und ganz nebenbei ist der Film verdammt lustig, nicht zuletzt wegen Brigsby Bear selbst, einer Parodie auf das Kinderfernsehen der Achtziger, inklusive VHS-Ästhetik und eigenem Titelsong. Davon, und von der schrägen Lebenswelt im Bunker hätte ich gern mehr gesehen, das ist herrlich skurril — allerdings ist Brigsby Bear zum grösseren Teil eine Art Coming-of-Age-Film um einen jungen Mann, der die Welt entdeckt. Das ist soweit ganz schön, tendiert aber auch ein wenig zur Sentimentalität — und das Ende ist dann doch arg kitschig geraten.

So wirklich gestört hat mich freilich nur eines: Als James das erste Mal von dem Polizisten befragt wird, der die Ermittlungen in seinem Fall leitete, will ihm dieser ums Verrecken eine Flasche Coca Cola andrehen. Das ist weder handlungsrelevant noch witzig, das ist einfach sehr penetrantes Product Placement. Fuck Coca Cola.

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ZFF 2017: On Body and Soul

On Body and Soul (Testről és lélekről)
Regie & Drehbuch: Ildikó Enyedi
Ungarn 2017; 116 min.
Neue Welt Sicht: Ungarn

In diesem Film bekommt man zu sehen, wie im Schlachthof einer Kuh der Kopf abgeschnitten wird. Ausserdem ist On Body and Soul ein wunderschöner Liebesfilm.

Auf der einen Seite sehen wir da immer wieder eine Hirschkuh und einen Hirsch, die zusammen in einem winterlichen Wald unterwegs sind — Naturbilder von einer Schönheit, die weh tut (Kamera: Máté Herbai), unterlegt von ebensolcher Musik (Komponist: Adam Balazs). Ich will gar nicht dran denken, wieviel Mühe und Geduld es brauchte, um das so auf Film zu bannen.

Auf der anderen Seite ist da ein Schlachthof. Dort arbeitet Endre (Géza Morcsányi; eigentlich kein Schauspieler, sondern Drehbucharbeiter) in der Finanzabteilung; er ist schön älter, sein linker Arm ist gelähmt. Eines Tages kommt Mária (Alexandra Borbély) in den Betrieb als Ersatz für eine schwangere Qualitätskontrolleurin. Mária ist eine junge, äusserst attraktive Frau, scheint allerdings autistisch zu sein. Jedenfalls hat sie ein ernsthaftes Problem mit sozialer Interaktion und eine Zwangsneurose, dafür aber ein phänomenales Gedächtnis.

Wie nun die beiden Hirsche und die beiden Angestellten zusammenhängen, ist im Grunde simpel, trotzdem will ich es hier nicht verraten. Es genügt zu wissen, dass es Endre und Mária in näheren Kontakt bringt und dass sich eine zarte Liebesgeschichte entwickelt. Auch wenn sich die beiden Liebenden selbst im Weg stehen: Der latent verbitterte Endre hat mit den Frauen eigentlich längst abgeschlossen, Mária hat schon Schwierigkeiten damit, wenn sie auf der Strasse jemand aus Versehen an der Schulter berührt.

Ildikó Enyedi ist eine genaue Beobachterin poetischer Alltagsmomente, ringt diesen einen subtilen Humor ab — die Witze in On Body and Soul gründen in erster Linie auf winzigen Gesten, auf kleinen und kleinsten Momenten, die die Regisseurin wie nebenbei zeigt. Und trotzdem habe ich schon lange nicht mehr so lachen müssen — der Film lief im vollständig ausverkauften Filmpodium, das Publikum hatte ein Fest.

Aber Ildikó Enyedi scheut sich auch nicht, dem Publikum einen reinzuwürgen, aber so richtig — seien es nun die geschlachteten Kühe, oder … äh … wie gesagt, ich will nicht zuviel verraten.

 
Hier gibts mein Interview mit der Regisseurin.

Ist die Katz aus dem Haus, lügt die Maus

Muss man denn schon wieder über Josef Haders Regiedebüt schreiben? Das läuft doch schon längst im Kino (in Zürich im Riffraff), das finden doch sowieso alle gut (auch der Kollege Saile). Ja, sogar ich finde den Film supertoll und megageil – und zumindest die eine Szene ist eine der lustigsten Szenen, die ich jemals gesehen hab, ich wär fast erstickt vor Lachen (wer Wilde Maus gesehen hat, weiss genau, was ich meine). Ich hab mir den Film nach der Pressevisionierung sogar ein zweites Mal angesehen (ich bin sonst einer, der Filme nie ein zweites Mal guckt), als Hader persönlich nach Zürich an die Vorpremiere kam, und ich fand Wilde Maus bei diesem zweiten Mal sogar noch besser als beim ersten Mal.

Aber weil so viel Konsent und Gutfinden langweilig ist (was ja auch Saile angemerkt hat), will ich hier mal nur darüber schreiben, was ich an Wilde Maus eben nicht gut fand, was mich an dem Film geärgert hat. Und zwar so richtig.

An der Vorpremiere erzählte Hader, dass er bei Wilde Maus Regie geführt habe, „weil ich zum ersten Mal ein Drehbuch ganz allein geschrieben habe“. Und Ausgangspunkt für dieses Drehbuch sei die Idee gewesen, dass einer entlassen wird, zuhause aber nichts davon sagt. „Das war die ganze Idee am Anfang.“
Und das ist auch mein Problem mit dem Film, denn dass einer entlassen wird, seiner Frau aber nichts davon sagt, das ist ein ganz schlimm abgenudeltes Klischee. Schlimmer noch, wir haben hier eine Variante des liar revealed, das vielleicht ärgerlichste Klischee aller Zeiten. Grob gesagt dreht sich in einer entsprechenden Geschichte alles darum, dass der Protagonist eine Lüge tätigt, versucht, diese Lüge aufrecht zu erhalten, schliesslich aber auffliegt und die Leute, die er getäuscht hat, zurückgewinnen muss. Diese Storystruktur ist voraussehbar und abgenutzt wie keine andere, ein Armutszeugnis der Kreativität und Originalität, sollte allen Geschichtenerzählern als böses No-Go auf die Nase tätowiert werden und ist weit unter der Würde eines Josef Haders.

Hans Metz von der Titanic-Humorkritik fand den Film auch nicht nur gut.: „So wie man, um all die Pracht und den Prunk und die schnörkelige Herrlichkeit der Sancta Romana Ecclesia genießen zu können, viel Unsinn schlucken muß […], so muß man wohl auch, um der »Wilden Maus« etwas abzugewinnen, einige Steilheiten akzeptieren.“

Ekkehard Knörer war enttäuscht über den Film und hat das Hader sogar noch ins Gesicht gesagt.: „Mein Gefühl ist aber, dass es sich der Film dann doch immer wieder zu leicht macht, nämlich da, wo es wirklich existienziell bitter wird […]“

Wilde Maus
Österreich 2017, 103 Min.
Regie & Drehbuch: Josef Hader
Mit Josef Hader, Pia Hierzegger, Georg Freiderich, Jörg Hartmann u. a.

Wilder Elefant

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Eine Kritik über eine Film zu schreiben, den man nicht mochte ist viel einfacher, als wie eine zu zum Beispiel „Wilde Maus“. Dies ist der neue Film von und mit Josef Hader. Die Kritik an dem Film wird also viel langweiliger als der Film selbst, denn dieser ist durchweg gelungen. Besonders zu erwähnen ist das fast perfekte Drehbuch in welchem vom Rhythmus bis zu den Dialogen einfach alles passt. Auch die Vielseitigkeit der Charaktere kann hervorgehoben werden. Gutes Handwerk, ja fast perfektes Handwerk und wenn man denn etwas kritisieren will, so wäre es, dass es fast ein Streberwerk ist und ihm dadurch etwas an Charme fehlt den auch ein Hader mit seiner ewigen Tollpatschigkeit in Understatement nicht ausgleichen kann. So jetzt ist der Abschnitt dieser Kritik schon mal geschafft. Wie ich das hasse, wenn man den Texten ansieht, dass der Autor zwar zum Thema schreiben möchte, aber eigentlich nichts zu sagen hat dazu. Und davon  gibt es in dieser Zeit wo jeder irgendwas mit Kunst machen will ja soviel wie Sand am Meer. Völlig unpassende Metapher jetzt Sand am Meer. „Wilde Maus“ spielt in Wien.

Der Film ist ein spannendes Abbild unserer Zeit und behandelt eine paar Grundkonflikte dieser, aber auch der menschlichen Existenz auf sehr unterhaltsame Weise und in einem gemeinsamen authentischen Kontext. (Naja die langen Sätze machen es jetzt auch nicht besser.) Es gelingt dem Film dabei berührend, tragisch und sehr lustig gleichzeitig zu sein. (Wieder ein Satz der mehr aussagen würde, wenn er nicht dastünde.) Mich würde sehr interessieren, wie der Film in 10 Jahren auf mich wirkt. Ob es die Aktualität ist, welche mich so flashte, oder doch eher die sehr gut gemachte Geschichte. (Ok, das stimmt, das geht so.) Es kann also doch gelingen sehr viele Themen anzusprechen, ohne dabei zu verallgemeinernd  zu werden oder auf das, vor kurzem hier kritisierte, Kalenderspruch-Niveau, zu fallen. Und falls dies trotzdem passiert, liegt auch die richtige Antwort im Dialog parat: „Halt die Pappen!“ (Bald…)

Hm… echt so voll gähn diese Kritik, ob da überhaupt jemand bis hier hin gelesen hat? Was soll man auch sagen zu einem Film, über den man nichts verraten will, weil wäre schade drum, den man aber empfehlen möchte. Hm… ein Hund war im Kino. Er war den ganzen Film über ruhig, hat aber beim Hinausgehen die Leute angebellt. Im Film selber kommt kein Hund vor, dafür ein Musikkritiker, eine Psychotherapeutin, ein politisch super korrekter Schwuler, ein schleimiger Chef, eine Rumänin, die gut Italienisch spricht, ein schlecht ausgebildeter Handwerker, ein freundlich pragmatischer Kredithai und ein sehr netter Waffenverkäufer. Und natürlich Bilderbuch. Diese tolle österreichische Popband, über die Hader sagte, er hätte eigentlich nur super nervige junge Musik im Film haben wollen, die ein studentischer Nachbar der Hauptfigur viel zu laut höre, sei aber auf der Suche nach dem nervigsten Song von Bilderbuch dummerweise ein Fan geworden, weil diese, wie Beethoven der in dem Film auch oft vorkommt, Typen seien, „die sich nichts scheissen“. Na dann… ich scheiss mi jetzt au goar nix und veröffentliche diese dürftige Kritik zu einem durchweg tollen Kinoerlebnis.

Wilde Maus
Österreich 2017, 103 Min
Regie & Drehbuch: Josef Hader
Mit Josef Hader, Pia Hierzegger, Georg Freiderich, Jörg Hartmann u. a.

Hier gehts zu Gregors Kontra zum Film.

Widder in Gefahr

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Hrútar ist eine Tragikomödie von Grímur Hákonarson mit Sigurður Sigurjónsson und Theodór Júlíusson in den Hauptrollen. Sag das zehnmal schnell hintereinander! Gottverdammte Isländer.

Gummi (Sigurður Sigurjónsson) und Kiddi (Theodór Júlíusson) sind zwei verknorzte alte Schafzüchter und nicht minder dickköpfig als ihre geliebten Widder. Obwohl Brüder und Nachbarn, haben sie schon seit vierzig Jahren kein Wort mehr miteinander gewechselt (mal abgesehen von den Zetteln, die der gemeinsame Hund hin und her apportiert).

Während einer Preisverleihung für den schönsten Widder (Kiddie bekommt den Preis zugesprochen) entdeckt Gummi, dass sich unter den Schafen der örtlichen Züchter die Traberkrankheit ausgebreitet hat (eine Variante des Rinderwahns, resp. der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit). Das ist ziemlich fatal, denn um dem fiesen Erreger Herr zu werden, müssen sämtliche Herden des Tals vernichtet werden. Ein herber Schlag für die wirtschaftlich eh schon angeschlagenen Bauern, ganz zu schweigen von den persönlichen Beziehungen der Züchter zu ihren Tieren. Um den elterlichen Bestand zu retten, nähern sich die zerstrittenen Brüder einander erstmals seit Jahrzehnten wieder an.

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Man möchte weinen über das traurige Schicksal von Gummi und Kiddi, muss aber doch immer wieder über die groteske Komik der Situation lachen. Da findet Gummi zum Beispiel seinen Bruder draussen im Schnee liegen, nachdem sich dieser vor Kummer ins Koma gesoffen hat – er muss sofort ins Spital. Statt den dickleibigen Kerl mühsam ins Auto zu schleppen, schnappt sich Gummi einfach einen Schaufelbagger und lädt Kiddi vor der örtlichen Klinik ab.

Am vergangenen Zurich Film Festival hat Hrútar den Spielfilmwettbewerb gewonnen – absolut zurecht.

 
Hrútar läuft ab dem 26. November im Kino.

Hrútar (Rams)
Island/Dänemark/Norwegen/Polen 2015, 93 Min.
Regie & Drehbuch: Grímur Hákonarson
Mit Sigurður Sigurjónsson, Theodór Júlíusson et al.

Bilder von Xenixfilm