Winkelried und die Geschichtsschreiber

Die älteste Darstellung von Zürich stammt von 1485 — man findet sie in der Zürcher- und Schweizerchronik von Gerold Edlibach (1454-1530), auch bekannt als Edlibachchronik. Zu sehen ist die Belagerung der Stadt durch die anderen Eidgenossen im Alten Zürichkrieg. 1444 war das. Zürich und Schwyz hatten sich damals um die Erbschaft des Grafen von Toggenburg gestritten, was einen kleinen Krieg unter den Acht Alten Orten auslöste. Irgendwie muss man ja die Zeit füllen.

Wie so oft in mittelalterlicher Kunst, stimmt auf der Zeichnung das Grössenverhältnis von Menschen und Häusern überhaupt nicht, und irgendwie hat Edlibach bei der Ausrichtung der Stadt und ihrer Bauwerke einiges durcheinandergebracht — das Bild insgesamt ist seitenverkehrt, und die Schöpfräder der Limmatmühlen befinden sich auf der falschen Seite der Brücken. Solche Sachen.

Hier kann man sich das ganz genau in der digitalisierten Fassung anschauen. Die meisten Handschriften in der Ausstellung sind online frei zugänglich; hier ist der Link mit der Liste (einfach runterscrollen).

Allen Fehlern zum Trotz: Das Bild ist ein wichtiger Blick zurück in die Stadtgeschichte. Und jetzt kann man es sich im Original in der Ausstellung Krieg und Frieden in der Zentralbibliothek ansehen. Der Ausstellungstitel ist eher nichtssagend, der Untertitel jedoch klärt einiges auf: Bilderchroniken aus der Frühzeit der Alten Eidgenossenschaft.

Angefangen mit der Tschachtlanchronik von 1470, fertigten Schweizer Chronisten im 15. und 16. Jahrhundert Pergament- und Papierhandschriften an, in denen sie die Geschichte der Eidgenossenschaft niederschrieben und mit prächtigen Bildern versahen. Weder Geschichtsbücher noch Buchillustrationen waren dazumal eine neue Idee — aber Geschichtsbücher mit Buchillustrationen? Was das anbelangt, waren die Schweizer anscheinend die ersten.

Weiterlesen

Werbung

Der Ritter im Baum

Auf nichts warte ich sehnlicher jeden Monat, als auf die Humorkritik des „endgültigen Satiremagazins“ Titanic. Was habe ich mir nicht alles schon angesehen/gekauft/eingeführt, nur weil Hans Mentz es mir empfohlen hat!

So auch Horst Brunners Von achtzehn Wachteln und dem Finkenritter — Deutsche Unsinnsdichtung des Mittelalters. Ich habe sowohl eine Schwäche für lustigen Quatsch als auch eine für mittelalterliche Literatur (letzteres nicht zuletzt studiumsbedingt), also habe ich mir das nette kleine Reclam-Büchlein bestellt und mich durch die Sammlung altertümlicher Lügendichtung gelesen.

Im Urteil bin ich weniger hart als Mentz, denn seien wir ehrlich: Wenn wir uns nur schon durch unseren Facebook-Feed klicken und uns ein paar der kursierenden Memes angucken, erscheint es uns doch recht arrogant, gegenüber den mittelalterlichen Humoristen den Snob raushängen zu lassen.
Zudem: Wenn die Lektüre der Kompilation etwas anstrengend ist, hat das weniger mit den simplen Strickmustern der Lügendichtung zu tun, sondern mehr damit, dass die verschiedenen (meist anonymen Autoren) sehr oft direkt aufeinander aufbauen (wie es seinerzeit üblich war), so dass einem dieselben Ulke gleich mehrfach begegnen. „Der Hase fesselt den Löwen“: Das ist beim fünften Mal zwangsläufig nicht mehr ganz so witzig.

Mentz hat aber unbedingt recht damit, dass „Der Finkenritter“ (anonymer Dichter, um 1560) die beste Story des Büchleins ist, und wer sich nicht allzu tiefgehend mit vormodernem Humor auseinandersetzen, aber trotzdem mal reingucken will, tut gut daran, sich auf diese zu beschränken (übrigens, auch der Ritter schöpft ausgiebig aus früheren Geschichten). Wobei ich dem halbwegs interessierten Leser zumindest noch „Die Geschichte des Backofens“ und Hans Sachs‘ „Das Schlauraffenland“ empfehlen möchte.

Nun aber ein kurzer Ausschnitt aus „Der Finkenritter“:

da fande ich einen vbergrossen / dicken / geschmeidigen/ kleinen Eychbaum / darein was ein Ymme geflogen / ich gedacht / da würde ich honig finden / vnnd schloffe zuo dem selbigen loch hinein inn den baum / die Ymmen erschracken flogen herauß / vnd hatten mir die Augen zerstochen / das mir mein hinder gesicht so gar krumb ist worden / als ein sichel / Wie ich aber gleich wieder herauß wolt / vnd jhnen entlauffen / da was mir das loch vil zuo klein worden / kundte nicht auß dem Baum mehr kommen / ich war zornig / lieff bald heym / vnd holt ein axt / vnd hüwe den Baum ab / vnnd schloff also durch die Wurztel heraus

Hier Brunners Übersetzung derselben Stelle:

Da fand ich einen riesigen, dicken, biegsamen, kleinen Eichbaum. Da hinein war eine Biene geflogen. Ich dachte, ich würde da Honig finden und schlüpfte durch dasselbe Loch hinein in den Baum. Die Bienen erschraken, flogen heraus und hatten mir die Augen zerstochen, dass meine Hinternansicht so krumm wurde wie eine Sichel. Wie ich aber umgehend wieder heraus wollte, um vor ihnen davonzulaufen, da war das Loch für mich viel zu klein geworden, ich konnte nicht mehr aus dem Baum hinauskommen. Ich war zornig, lief rasch heim, holte eine Axt, fällte den Baum und schlüpfte durch die Wurzel heraus.

 
Das Buch auf der Reclam-Seite