Genua 2021, Teil 4/4: Berge, Schiffe, Kolumbus und Anarchismus

Hier gehts zu Teil 3.

 
Rigi und Righi

Das Bild oben hab ich von der Righi aus geschossen, einem der Hausberge von Genua. Mit der Seilbahn kommt man relativ schnell hinauf, und die Aussicht ist den Ticketpreis durchaus wert. Es gibt dort auch einen Wanderweg, der an einigen Ruinen entlang führt, Teile eines alten Verteidigungs-Walls. Armada und ich stellen dann allerdings bald fest, dass wir weder die Zeit noch die richtige Ausrüstung für die Wanderung haben, also fahren wir wieder runter. (Das Foto entsteht an der normalen Autostrasse.)

Erst halte ichs für einen amüsanten Zufall, dass der Berg Righi heisst, ähnlich wie die Innerschweizer Rigi, ein Berg, der mir halbwegs vertraut ist.
Aber schau mal einer an: Zwischen der Righi und der Rigi besteht ein direkter Zusammenhang.

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Zurich Film Festival 2021, Teil 1: Das Allgemeine und die Tiefpunkte

Das 17. ZFF stand einmal mehr im Zeichen der Pandemie – in die Kinos oder ins Festivalzentrum durfte nur, wer ein Zertifikat vorweisen konnte. Dafür ist die Maskenpflicht gefallen, und wir durften (oder besser: mussten) uns wieder neben wildfremde Leute setzen. Es ist immer noch ein wenig gewöhnungsbedürftig.

Neu am ZFF: Das Kongresshaus als Spielstätte. Dort gibts einen riesigen Saal mit fast 1300 Plätzen. Ich habs allerdings fertiggebracht, keinen einzigen Film dort zu gucken. Naja, vielleicht nächstes Jahr.

Ebenfalls neu: Das ZFF hat jetzt ein Signet, also ein kurzes animiertes Symbol mit Musik. Das vor jeder einzelnen Vorstellung gelaufen ist (selbst in den Pressevisionierungen). Die pompöse, plärrende Fanfare entwickelt nach dem zehnten oder zwanzigsten Mal durchaus einen gewissen Nerv-Faktor.

Jetzt aber zu den Filmen.

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Fantoche 2021: Splatter-Trash, Filmgeschichte und Mutanten

Das diesjährige Fantoche war mein erstes Kinoerlebnis mit Zertifikatspflicht. Wobei, auch wenn sie es nicht mussten, die meisten Leute haben noch Masken getragen und die Abstände eingehalten, wo es ging. Sehr verantwortungsbewusst.

Gewisse Anfangsschwierigkeiten gabs auf Seiten der Kinogänger:innen: Ein Freund von mir, der extra für eine Vorstellung angereist war, hatte nicht verstanden, dass er ein Zertifikat braucht (das war noch vor der Einführung der offiziellen Pflicht), und keines dabei, weder ausgedruckt noch auf dem Handy.
Es gab zwar ein kostenloses Testcentre beim Festivalzentrum, aber bis wir dort und zurück beim Kino Trafo gewesen wären, wäre der Film zur Hälfte vorbei gewesen. Pech. Stattdessen gingen wir in die Unvermeid-Bar des Teatro Palino. Hat uns gefallen.

Was war aber mit den Filmen, die ich gesehen habe? Das hier sind meine Lieblinge aus dem Programm.

 
Historie de Mr. Vieux-Bois | Lortac & Cavé, CH 1921, 12 Min. (Ausschnitt) | Der Schweizer Animationsfilm feiert dieses Jahr sein 100-Jahre-Jubiläum, 1921 erschien nämlich Histoire de Mr. Vieux-Bois. Genau genommen wurde er in einem Pariser Studio produziert, aber die Auftragsgeber kamen aus Genf, und als Vorlage diente ein Comic von Rodolphe Töpffer (ebenfalls ein Genfer).

Zum Jubiläum hat die GSFA (der Verband der Schweizer Animationsfilmer:innen) ein Filmprogramm zusammengestellt. Eine Auswahl daraus hatte Vorpremiere am Fantoche. Und diese Begann mit dem ersten Teil von Histoire de Mr. Vieux-Bois (ca. 12 Minuten).

Die Animation basiert auf Legetrick (vorgefertigte Elemente werden auf einem Hintergrund verschoben) und wirkt aus heutiger Sicht primitiv, die Story ist nicht grad berauschend: Mr. Vieux-Bois verliebt sich in eine Frau, sie will nichts von ihm wissen, er begeht mehrere Suizid-Versuche.
Lustig: Gezeigt wurde eine Version mit deutschen Zwischentiteln, und diese Titel sind voller Rechtschreibfehler und fragwürdiger Übersetzungen. Der Film hat es seinerzeit nicht in die Deutschschweiz geschafft.
Sehr cool jedoch war die Live-Musikbegleitung. (Melissa Chen an der Geige.)

 
Night Bus | Joe Hsieh, Taiw 2020, 20 Min. | Der Film war im Internationalen Wettbewerb zu sehen; zu Beginn der Vorstellung liess die Moderatorin durchblicken, im Programmationsteam sei der kontrovers diskutiert worden. Kein Wunder: Night Bus ist miserabel animierter Splatter-Trash über eine nächtliche Busfahrt, die in Gewalt und Tod endet. Durch und durch haarsträubend. Aber zweifellos der lustigste Film des Festivals.
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tirol: eine innenansicht

zuerst muss betont werden; tirol ist so was wie die bessere deutschschweiz, oder sagen wir, eine art deutschsprachige westschweiz. es läuft auch alles recht ordentlich, aber die arbeitsmoral ist entspannter, das essen ist besser und die witze sind es auch. ich lebe aus zufall in tirol und kann sagen, die lebensqualität ist wirklich sehr hoch, wenn man sich tirol denn leisten kann. dieses lob ist wichtig, weil jetzt kommt das bashing. 

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Attack of the Weekly Links: Peru, Genua, Aids und Impfkritik

Alberto Fujimori: Dictator of Peru | Lustigerweise (oder traurigerweise) weiss ich mehr über die Inkas als über das zeitgenössische Peru. Umso mehr hat mich dieses Video von Bad Empanada fasziniert, in dem er sich mit Alberto Fujimori beschäftigt, der von 1990 bis 2000 als Dikator über das Land herrschte. Dazu passt übrigens dieses Video auf demselben Kanal über die peruanische Guerillaorganisation Sendero Luminoso (Leuchtender Pfad).

Genua 2001: Aufständische Ereignisse statt «Ende der Geschichte» | Diesen Sommer vor zwanzig Jahren demonstrierten Globalisierungskritiker:innen gegen den G8-Gipfel in Genua. Die Polizei schlug brutal zu; am 20. Juli wurde Carlo Giuliani erschossen. Lia Kläber, die damals dabei war, hält für das schweizerische Ajour-Magazin Rückschau und ordnet ein.

How did we get AIDS? | Ein Video von little hoot über die Aids-Epidemie und insbesondere den politischen Umgang damit. Spricht auch einige Mythen wie den vom Patienten null an. Und zeigt einige Parallelen zur Corona-Epidemie auf. (Kurzfassung: Die Leute waren schon damals unfähig, um angemessen zu reagieren.)

Vaccines: A Measured Response | Auch ich hab schon von Impfkritiker:innen gesagt bekommen, dass Impfungen Autismus verursachen können. Mir war bewusst, dass das auf einer fragwürdigen, längst widerlegten Studie basiert, aber ich hab mich nie wirklich mit den Details auseinandergesetzt. Hbomberguy hat sich besagte Studie von Andrew Wakefield und das Treiben des (ehemaligen) Arztes angesehen, und was dabei herauskommt, erinnert in seiner bodenlosen Unglaublichkeit an Tiger King. Nur, dass sterbende Kinder hinzukommen.

Attack of the Weekly Links: Sam vom Dach und ein paar Tagi-Artikel

Up on the Roof | Wegen Corona konnte der Komiker Sam Morril kein Special in einem Club drehen. Also hat er Dächer in Beschlag genommen. Sehr lustig. Er ist aber auch im Club gut, siehe hier: I Got This.

Das Frosch zeigt keine Filme mehr | Das Kino Frosch im Zürcher Niederdörfli geht endgültig zu, sofern sich kein Kinobetreiber erbarmt, es zu übernehmen. Ich hab viel herumtelefoniert und darüber geschrieben. Wenn ich ganz ehrlich sein soll: Ein wahnsinniger Verlust ist das nicht, gehörte das Frosch doch zur Blue-Cinema-Gruppe (früher Kitag). Das ist kein Liebhaberkino, sondern Massenabfertigung. Ich würde mich allerdings freuen, wenn eine andere Betreiberin einspringen würde. Was wiederum nicht wahrscheinlich ist angesichts der Tatsache, dass es den Kinos nicht wahnsinnig gut geht (erst recht nicht in der Coronakrise). Aber wer weiss.

Warum ist es um die Kultur so still geworden? | Zum Frosch-Kino und zur Situation der Kinos äussere ich mich auch in der neusten Ausgabe des Tagi-Corona-Podcasts Und jetzt?. Wer also hören will, wie ich dummes Zeug rede, hat endlich die Chance. Zum Glück hat auch Kulturredaktorin Susanne Kübler teilgenommen, die tatsächlich was zu sagen hat.

Ein New Yorker in Italien | Die Kinos zittern, aber auf den Streaming-Plattformen ist noch immer viel los. In der neusten Ausgabe der Züritipp-Streaming-Tipps empfehle ich unter anderem We Are Who We Are, eine grandiose Serie von Luca Guadagnino (Call Me By Your Name).

Von Killerviren und Patrioten: Stephen Kings „The Stand“

Buchkritik | Ein Killervirus entfleucht aus einem amerikanischen Geheimlabor und rottet fast die gesamte Menschheit aus; die paar Überlebenden werden in einen Kampf zwischen Gut und Böse verstrickt.
Stephen King hat
The Stand bereits 1978 geschrieben, 1994 wurde das Buch als vierteilige Miniserie adaptiert, eine Comicversion lief von 2008 bis 2012. Und jetzt kommt eine Neuverfilmung in zehn Episoden — während die Coronakrise noch am Laufen ist.
Grund genug, sich den Roman nochmal anzuschauen. Dazu wollen wir uns ein paar Überlegungen zur Kulturgeschichte von Viruspandemien machen.

 

Inhalt

Worum gehts bei The Stand überhaupt?
Eine Tendenz zum Geschwafel
Das Schicksal der Pappkameraden
Vernunft gegen Glauben
Die Grippe aus christlicher Perspektive
Verdikt

 
Das ist so ein Zufall, bei dem es einem flau im Magen werden kann: Im September 2019 begannen die Dreharbeiten zur neuen The Stand-Serie, im März 2020 wurden sie abgeschlossen — dazwischen liegt der Ausbruch der Coronakrise. In einem Artikel zitiert Variety den Schauspieler James Marsden wie folgt: „Am Anfang von The Stand gibts Szenen, in denen Leute niesen oder in die Armbeuge husten, und alle Augen richten sich auf sie. […] Sieht man jetzt jemanden, der so etwas macht, treten alle einen Schritt zur Seite. Es ist verrückt.“

Stephen King selbst schrob auf Twitter: „Nein, das Coronavirus ist nicht wie The Stand. Es ist nicht ansatzweise so schlimm. Es ist absolut überlebbar. Bleibt ruhig und ergreift die angemessenen Massnahmen.“

Corona hin oder her, die Serie soll am 17. Dezember starten. Aber gucken wir uns erst einmal die Buchvorlage an.

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Attack of the Weekly Links: Munnery, Mahler und Orgelmusik

Fylm Makker | Vor ein paar Jahren kam der Comedian Simon Munnery nach Zürich, und ich hab darüber geschrieben. Der Typ ist super, und super ist dieses Version seines Programms Fylm Makker. „I speak to you through camera, because my theory is: Just like the microphone emphasizes the voice, the camera emphasizes the face, and it is an instrument that should be used for live performances. This is my theory, and I’m gonna pursue it. Until you like it. Or thirty minutes elapse.“ Lustigerweise kann das inzwischen als Vorbild für Comedy in Zeiten von Corona gelten.

schreibART ONLINE: Nicolas Mahler | Nicolas Mahler im Gespräch über seinen Comic Ulysses (einer Bearbeitung des James-Joyce-Romans). Dass es das noch gibt: Zwei ältere, lethargische, schwarz gekleidete Herren sitzen an einem Tisch und unterhalten sich über Kunst. Dazu noch mit österreichischem Akzent. Schade, dass keiner Pfeife oder Zigarre raucht.

Zum Schluss noch etwas Klassik:

A Fire Upon the Deep: Wenn das Internet zum Genozid führt

Buchkritik | In Vernor Vinges Science-Fiction-Roman A Fire Upon the Deep spielt eine galaktische Version des Usenets eine zentrale Rolle. Dabei nimmt das Buch von 1992 einiges vorweg, was das heutige Internet ausmacht – von der Verbreitung von Fake News bis zum gegenseitigen Aufschaukeln radikaler Ansichten. Und selbst zur Coronakrise gibts Parallelen.

 
Zugegeben, A Fire Upon the Deep ist eine einigermassen frustrierende Lektüre. Autor Vernor Vinge stellt mehrere interessante Ideen in den Raum, führt sie jedoch nie zu einem funktionierenden Ganzen zusammen (jedenfalls für meinen Geschmack) – stattdessen verzettelt er sich in den Details eines arg konventionellen Abenteuerplots.
Ungefähr darum geht es:

Intelligenz-Schichten

Die Geschichte spielt einige Tausend Jahre in der Zukunft. In jener hat die Menschheit die Technik des intergalaktischen Reisens entwickelt und dabei festgestellt, dass die Milchstrasse – ähnlicher einer Zwiebel – in verschiedene Schichten unterteilt ist, und bei diesen Schichten handelt es sich um Zonen unterschiedlicher Intelligenz. Je näher an der Galaxis, umso dümmer – sowohl was Biologie als auch Technologie anbelangt.

So existiert in den Unthinking Depths keine Intelligenz irgendwelcher Art.
Die „alte Erde“ befindet sich in der Slow Zone, in der zwar intelligentes Leben möglich ist, aber keine Raumfahrt mit Überlichtgeschwindigkeit und auch keine echte künstliche Intelligenz.
Das gibts erst in der Zone des Beyond, in die sich Teile der Menschheit hochgekämpft haben.
Die Zivilisationen in diesem Teil der Galaxis arbeiten daran, die äusserste Schicht zu erreichen, das Transcend – dort oben tummeln sich superintelligente, praktisch göttliche Wesen, die Powers.
Zur Verdeutlichung des Zwiebelschemas gibts im Buch diese handliche Illustration.

Superböse Superintelligenz/Das Netz

Nun macht sich eine menschliche Forschungsexpedition an einem aufgegebenen, Milliarden Jahre alten Archiv einer ausserirdischen Rasse zu schaffen. Sie erhofft sich technologischen Fortschritt und einen Aufstieg ins Transcend – weckt stattdessen aber eine künstliche Intelligenz, die so uralt wie böse ist: die Blight. Diese KI übernimmt und versklavt Computer und biologische Wesen gleichermassen.
Über das galaktische Kommunikationsnetzwerk – kurz „Netz“ (Net) – verbreitet sie sich wie ein Virus, Zivilisation um Zivilisation fällt ihr zum Opfer. Und selbst die Powers des Transcend haben ihr nichts entgegenzusetzen.

Doch Achtung: Ein einzelnes Raumschiff der Menschen hat es geschafft, aus dem Archiv zu entkommen, bevor die Blight voll ausgebrochen ist – mit an Bord: eine sogenannte Gegenmassnahme, also ein Mittel gegen die böse Intelligenz.
Das Raumschiff notlandet auf einem Planeten in der Slow Zone. Ein Notrufsignal des Schiffs erreicht Relay, eine gigantische Raumstation, bei der es sich um einen Knotenpunkt des erwähnten Netzes handelt. Dort wird das Signal an die einzige menschliche Angestellte herangetragen, eine gewisse Ravna. Mithilfe einer Power stellt Ravna eine Rettungsmission auf die Beine und heuert das Raumschiff Out of Band II an. Dieses Raumschiff kommt gerade noch so davon, als die Blight den Knotenpunkt angreift und zerstört.

Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt: Kann die Out of Band II das gestrandete Raumschiff erreichen und die Gegenmassnahme aktivieren, bevor die Blight den knappen Vorsprung aufgeholt hat?
Der Runterdummungs-Effekt, der in der Slow Zone einsetzt, macht die Sache nicht gerade einfacher.

Telepathische Hundewesen

Das gestrandete Raumschiff wurde von einer Familie pilotiert, zwei Erwachsenen und zwei Kindern. Der Bruchlandung folgt ein Angriff der örtlichen Planetenbewohner: hundeartigen Geschöpfen, die sich zu telepathisch verbundenen Rudeln formieren.
So teilt sich quasi eine einzelne Person auf durchschnittlich fünf Hundeartige auf, während ein Hund allein nur rudimentär intelligent und kaum handlungsfähig ist.
Bei diesen Rudelintelligenzen handelt es sich um das Volk der Tines.

Jedenfalls: Die Rudel töten die erwachsenen Menschen, übrig bleiben die beiden Kinder – die zwei verschiedenen Fraktionen unter den Tines in die Pfoten geraten. Und diese zwei Fraktionen – eine gute, eine böse – kämpfen nun, jeweils mit der Hilfe eines Menschenkindes, um die Kontrolle über das notgelandete Raumschiff. Welche Fraktion gewinnt wohl die Oberhand, bis die Rettungsmission eintrifft, die Blight im Schlepptau?
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