Genua 2021, Teil 4/4: Berge, Schiffe, Kolumbus und Anarchismus

Hier gehts zu Teil 3.

 
Rigi und Righi

Das Bild oben hab ich von der Righi aus geschossen, einem der Hausberge von Genua. Mit der Seilbahn kommt man relativ schnell hinauf, und die Aussicht ist den Ticketpreis durchaus wert. Es gibt dort auch einen Wanderweg, der an einigen Ruinen entlang führt, Teile eines alten Verteidigungs-Walls. Armada und ich stellen dann allerdings bald fest, dass wir weder die Zeit noch die richtige Ausrüstung für die Wanderung haben, also fahren wir wieder runter. (Das Foto entsteht an der normalen Autostrasse.)

Erst halte ichs für einen amüsanten Zufall, dass der Berg Righi heisst, ähnlich wie die Innerschweizer Rigi, ein Berg, der mir halbwegs vertraut ist.
Aber schau mal einer an: Zwischen der Righi und der Rigi besteht ein direkter Zusammenhang.

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Attack of the Weekly Links: Noch mehr Religion

Letzthin hab ich ein paar Youtube-Kanäle über Religion empfohlen. Hier kommen ein paar weitere Tipps zum Thema (nicht nur auf Youtube).

The Origins of Atheism | Von der Website des Gresham College: „Gresham College was founded in 1597 and has been providing free lectures within the City of London for over 400 years.“ Die Vorlesungen kann man inzwischen auch auf ihrem Youtube-Kanal gucken. Ein gigantischer Fundus voller toller Beiträge. Die Serie über die Geschichte des Atheismus vom Mittelalter bis in die Gegenwart hat mich besonders gepackt, ebenso diese noch laufende Reihe über Charles Darwin.

Phäno­mene des Irra­tio­nalen. Wunder­heiler, Hexen und Verschwö­rungs­my­then. | Bevor Geschichte der Gegenwart in die Winterpause ging, veröffentlichten die Leutchen noch diesen Artikel über eine Welle von Aberglaube und religiöser Spinnerei im Deutschland der unmittelbaren Nachkriegszeit. Einigermassen bekannt dürfte der Wunder­heiler Bruno Gröning sein, aber der Trend reicht weit über ihn hinaus. „Im Grunde genommen ist die Beschul­di­gung, eine Hexe zu sein, gleich­be­deu­tend mit der Beschul­di­gung, an einer Verschwö­rung betei­ligt zu sein […]. Die ganze Geschichte war nicht so unglaub­lich, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Schließ­lich hatten die Hexerei-Vorwürfe gewisse struk­tu­relle Ähnlich­keiten mit dem natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Anti­se­mi­tismus.“

Der Grösste unter euch soll sein wie der Kleinste | Und zuletzt sei noch einmal auf diese Buchkritik von Kollege Barry B. hingewiesen, in ders um das Verhältnis von Anarchismus und Christentum geht.

Das Buch der wahrscheinlich anarchistisch beeinflussten Künstler*innen

Allan Antliffs Buch Anarchie und Kunst liest sich wie eine in die Länge gezogene Seminararbeit. Es stellt den misslungenen Versuch dar, ein an sich interessantes Thema zu beleuchten: das Verhältnis von Anarchie und Kunst.

Im ersten Kapitel widmet sich Antliff dem Realismus des Malers Gustave Courbet, den er auf Grund seiner Beteiligung an der Pariser Commune 1871 in der Nähe zum Anarchismus verortet wissen will. Courbet sorgte mit seinen Gemälden immer wieder für Skandale in der bürgerlichen Kunstwelt. Pierre Joseph Proudhon, ein zwischen Anarchismus und Reformismus schwankender Journalist und Schriftsteller,* verfasste eine umfangreiche Verteidigung Courbets, in der Proudhon zugleich sein Kunstverständnis darlegt. Kunst sei, was im Dienste des gesellschaftlichen Fortschrittes stehe. Dazu gehörten für Proudhon auch die Gemälde Courbets. Das Kapitel endet mit der Erwähnung seines Engagements in der Commune und den Umständen seines Todes.

*Zwar war es Proudhon, der das Wort Anarchie in einem positiven Sinn verwendet hat, doch kann deswegen nicht sein ganzes Schaffen als anarchistisch bezeichnet werden. Dies erfährt man bei Antliff freilich nicht.

Ab diesem Punkt lassen Sprache und Argumentation des Buches immer mehr zu wünschen übrig. Wie eine Lithographie im Stande sein soll, «scharfe Kritik am Hunger zu üben», erschliesst sich wohl nur dem Autor. Zwischen Darstellung und Interpretation zu trennen, hält er wohl für überflüssig. Von den Neoimpressionisten weiss er zu berichten, dass «anarchistische Politik» deren «Technik durchtränkte». Um seine These zu untermauern, zitiert Antliff eine andere Studie. Deren Argument erschöpft sich darin, dass zwischen den harmonisch gesetzten Farbtupfern und den – imaginierten – Individuen einer anarchokommunistischen Gesellschaft Ähnlichkeiten bestehen würden.

Das dritte Kaptiel ist dem französischen Künstler Francis Picabia und dem New Yorker Dada gewidmet. Das Portrait d’une jeune fille en toute nudité will Antliff genauer unter die Lupe nehmen. Allerdings möchte er nur seine Interpretation mit den Leser*innen teilen. In seinem Buch, das doch einige Abbildungen enthält, fehlt gerade die zu einem der zentralen Bilder, die er interpretiert. Dass der Autor an fundierten Recherchen nicht interessiert ist, wird spätestens dann klar, wenn er diese durch Wahrscheinlichkeitsrechnungen ersetzt (sämtliche Hervorhebungen von mir):

Jahre später erzählte Duchamp, die Lektüre Stirners* in München habe zu seiner «vollständigen Befreiung» geführt. Er und Picabia standen sich sehr nahe, und nach der Rückkehr nach jenem Herbst, diskutierten sie wahrscheinlich ausführlich über Stirners Ideen.

Beispielsweise haben Duchamp und Picabia möglicherweise im Oktober jenen Jahres, unmittelbar vor Picabias Reise in die Vereinigten Staaten, auf ihrer Reise ins französische Jura über Stirner gesprochen.

Diese sexuelle Note hatte Pariser Wurzeln. Denn höchstwahrscheinlich lieferte die Anregung in gewissem Grade Der Supermann (1902, dt. 1969) ein satirischer […] Roman des französischen Satirikers Alfred Jarry.

Als Picabia in New York ankam, dürfte der Fall Tice, aufgrund seiner Erfahrungen mit dem amerikanischen Feldzug gegen das «Laster» während der Armory Show, also sehr wahrscheinlich seine Aufmerksamkeit erregt haben.

*Stirner war ein Zeitgenosse von Karl Marx und gilt, obwohl er sich nie so bezeichnet hat als einer der wichtigsten individualanarchistischen Denker.

Den Rest des Buches geht es so weiter. Antliffs Interpretationen nehmen sich so aus wie der Ausstellungskatalog eines Museums.

Allan Antliff: Anarchie und Kunst. Von der Pariser Kommune bis zum Fall der Berliner Mauer. Übersetzt von Katja Cronauer. Lich/Hessen 2011.