Dieses Halloween werfen wir den Blick mal gen Osten, nämlich nach Hongkong. Wo wir es mit dem traditionellen chinesischen Hüpfvampir zu tun bekommen.
Der Fachbegriff lautet Jiangshi, zu Deutsch ungefähr: starrer Leichnam. Gemeint sind weitgehend hirntote Untote, die als Wiedergänger die Lebenden behelligen und sich von ihrer Energie (dem Qi) ernähren. Weil sie halt Leichname sind – Todesstarre, Verwesung und so –, sind sie in ihrer Bewegungsfähigkeit stark eingeschränkt. Weswegen sie sich hüpfend und (zur Balance) mit ausgestreckten Armen fortbewegen.
Weitere typische Merkmale sind lange weisse Haare, lange scharfe Fingernägel sowie die traditionelle Grabkleidung, die an alte Beamtenuniformen erinnert.
Vampire, die hüpfen – ist das überhaupt gruselig? Auf die Frage kommen wir noch zurück.
Jiangshi im heutigen Sinne wurden während der Qing-Dynastie (1616–1912) erfunden, auch wenn die chinesischen Totenkulte, aus denen sich die Untotenlegenden entwickelt haben, ein paar Jahrhunderte weiter zurückreichen.
Hüpfvampire im Kino
Ihren cinematischen Durchbruch hatten die Jiangshi relativ spät, nämlich mit unserem heutigen Film, Mr. Vampire (im Original Geung si sin sang, also eigentlich Mr. Jiangshi). Der war 1985 äusserst erfolgreich, erhielt vier Sequels und diverse Spin-offs und hat eine ganze Lawine von Jiangshi-Werken losgetreten. (Ein guter Teil davon ist unter Ricky Laus Rigide entstanden.) Anscheinend war das Zeug besonders in Japan populär.
Hinter dem Erfolg stecken Regisseur Ricky Lau und Produzent Sammo Hung. Letzterer war ein Schwergewicht des Hongkong-Kino-Booms der 70er und 80er, war unterwegs als Kampfchoreograf, Schauspieler, Regisseur und eben Produzent, ein Kumpel von Jackie Chan seit ihrer gemeinsamen Zeit in der China Drama Academy. Hungs Gimmick als Schauspieler: Er war athletisch, aber fett. Einer seiner erfolgreichsten Filme: Enter the Fat Dragon (1978). (Wie gesagt: ein Schwergewicht des Hongkong-Kinos.)
Sammo Hung war bedeutend für die Entwicklung der Kung-Fu-Komödie und insbesondere für die der Kung-Fu-Horror-Komödie. Von ihm stammt einer der ersten derartigen Streifen, Encounters of the Spooky Kind (1980), wo er neben der Regie auch die Hauptrolle innehatte – bereits hier stösst sein Held auf einen Jiangshi.
Will sagen, Mr. Vampire war nicht der erste Jiangshi-Film (das war wohl Midnight Vampire von 1936), aber der bahnbrechendste für sein Genre.
Soweit alles klar? Schauen wir mal, wie das im Konkreten ausschaut.
Kapriolen in der Leichenhalle
Wir befinden uns in einer Kleinstadt in China. Da die später gezeigten Polizisten den Stern der Beiyang-Armee tragen, muss es die späte Qing-Dynastie oder die frühe Republik China sein.
Also, jedenfalls sind wir in einer chinesischen Kleinstadt, und zwar in der örtlichen Leichenhalle. Was grundsätzlich mal ein guter Ort ist, um einen Horrorfilm zu beginnen. Nacht ist es auch noch, und draussen heulen Wölfe.
An diesem Ort hält ein gewisser Man-choi (Ricky Hui) Wache. Er muss auf ein paar Särge aufpassen und allfällige übernatürliche Kapriolen verhindern, indem er geistervertreibende Räucherstäbchen aufstellt. Ausserdem muss er sich um die acht Jiangshi kümmern, die in der einen Ecke stehen.
Wieso stehen die da rum? Nun, Man-chois Meister, Meister Kau, ist ein daoistischer Priester und als solcher zuständig für Tote und Beerdigungen, aber auch für Geister, Monster und ähnliches Gelump. Er hat gerade einen Kollegen zu Gast, und der hält mittels Magie die acht Jiangshi unter Kontrolle. Meines Wissens gibt der Film diesem Meister keinen Namen, aber er hat eine rote Nase, also nenn ich ihn Meister Rotnase.
Diese acht Jiangshi sind eigentlich ganz normale Tote, die allerdings in der Fremde starben – Meister Rotnase wandert mit ihnen in die Heimat zurück, um sie dort regelkonform zu beerdigen. Die Leichname sind im Grunde ganz harmlos, sofern man die entsprechenden Regeln einhält.
Momentan wird jeder der Hüpfvampire durch einen Talisman-Zettel gebannt, der ihm an der Stirn klebt. Vor den Jiangshi steht ein kleiner Tisch, darauf ein Haufen mit acht Zetteln – die Pendants zu den Stirnzetteln. Auf diesem Zettelhaufen wiederum steht eine Öllampe. Solang diese brennt, befinden sich die Jiangshi im Tiefschlaf. Man-choi ist dafür verantwortlich, dass die Lampe ihren Dienst tut.
Wir fassen zusammen: Solang die Lampe brennt, ist alles gut.
Lehrling Man-choi hat einen Kollegen, Chau-sang (Chin Siu-ho). Und der hält es für einen ausgezeichneten Streich, sich als Hüpfvampir zu verkleiden und in der Aufmachung Man-choi zu erschrecken. Ein echter Spassvogel! Man-choi erschreckt sich darob so sehr, dass er die erwähnte Öllampe umschmeisst, woraufhin sie ausgeht. Damit erwachen die Jiangshi aus ihrem Tiefschlaf und nehmen die beiden Priester-Azubis ins Visier. Hoppala.
Die Lehrlinge brüllen um Hilfe. Zum Glück sind Meister Kau (Ching-Ying Lam) und Meister Rotnase (Anthony Chan) sofort zur Stelle, um sich den Jiangshi mittels Kung Fu entgegenzustellen.
Es rappelt ganz ordentlich: Schläge katapultieren Mensch und Vampir durch die Gegend, Möbel gehen zu Bruch, es gibt jede Menge Slapstick. Das erfreut mein Herz.
Übrigens: Wie gruselig sind die Vampire nun? Naja, nicht besonders. Die Hüpferei ist schon ziemlich putzig anzusehen. Ich muss aber auch sagen: Wenns darum geht, Kung-Fu-Tritte auszuteilen, agieren die Jiangshi plötzlich ziemlich agil.
Schliesslich kriegen die beiden Meister die Hüpfvampire zurück unter Kontrolle. Jeder Tote erhält seinen Stirnzettel, die Öllampe wird wieder angezündet. Ruhe im Karton, Katastrophe abgewendet. Meister Rotnase ist allerdings derart konsterniert, dass er mit den Jiangshi sofort abreist. Meister Kau ist schwer enttäuscht über die bodenlose Unfähigkeit seiner Schüler.
Ein Wort zu Meister Kau: Er ist nominell ein älterer Herr, Schauspieler Ching-Ying Lam war allerdings erst Anfang dreissig. Also hat man ihm die Haare grau gefärbt und ihm zusammengewachsene Augenbrauen verpasst. Das Ergebnis ist nicht einmal ansatzweise überzeugend. Nur zum Sagen: Ricky Hui, der Azubi Man-choi spielt, ist ein paar Jahre älter als sein «Meister». Und er sieht auch eindeutig älter aus.
Aber naja, für Martial-Arts-Filme aus Hongkong ist es gar nicht so selten, dass junge Schauspieler auf alt getrimmt werden. Find erst mal einen Alten, der noch filmreifes Kung Fu zustande bringt.
Wie dem auch sei, Ching-Ying Lam sollte in den folgenden Jahren noch viele, viele Male den Priester mit der Monobraue (oder ähnliche Figuren) spielen.
Dann noch kurz zu Man-choi und Chau-sang. Die beiden sind gleichermassen doofe Tölpel, aber man kann sie immerhin äusserlich auseinanderhalten: Man-choi ist einen Kopf kleiner und hässlich, Chau-sang grösser und gutaussehend.
Was um alles in der Welt ist Kaffee?
Nach dieser lustigen Einführung, die mit dem Rest des Filmes nur bedingt zu tun hat, wird es Zeit, dass wir uns mit der eigentlichen Geschichte befassen.
Meister Kau hat einen Termin bei Herrn Yam (Huang Ha), einem der reichsten Männer der Stadt. Der hat ihn in ein Teehaus im westlichen Stil eingeladen. Lehrling Man-choi würde gern mitkommen, weil er noch nie «westlichen Tee» hatte. Da Meister Kau sich von ihm nicht blamieren lassen will, schickt er den Jüngeren zunächst nach Hause. Überlegt sich dann aber: «Ich hatte auch noch nie westlichen Tee. Wenn ich mich lächerlich mache, käme das sehr ungelegen. Ich nehme Man-choi mit – wenn sich irgendwer lächerlich macht, dann zuerst er.»
Moment mal, dieses Lokal kenne ich doch! Es ist das Luk Yu Tea House! Die Allerliebste und ich haben dort reingeschaut, als wir 2018 in Hongkong waren. Und sind sofort wieder raus, weil uns der Laden viel zu versnobbt war. Und Haifischflossensuppe auf der Karte stand.
Ist aber auch egal. Unser Meister und sein Schüler werden von Herr Yam erwartet, zu ihnen gesellt sich seine Tochter Ting-ting (Moon Lee). Sie kommt grad aus der Provinzhauptstadt, wo sie Kosmetologie gelernt hat. (Nein, nicht Kosmologie. Kosmetologie. Also alles, was mit Kosmetik zu tun hat.) Man-choi ist von ihrer Präsenz bis ins Innerste hingerissen. Ting-ting ist peinlich berührt, weil er ihr in den Ausschnitt starrt.
Unsere Helden können die englische Karte nicht lesen, also machen sie es einfach Ting-ting nach und bestellen ein ihnen völlig unbekanntes westliches Getränk: Kaffee.
Der Kellner bringt jeweils eine Tasse Kaffee und ein Kännchen mit Sahne.
Man-choi zu Kau: «Meister, was von beidem trink ich zuerst: das Schwarze oder das Weisse?»
Da Herr Yam eben aufgestanden ist, um einen Bekannten zu begrüssen, ergreift Ting-ting die Gelegenheit, um sich über die offensichtliche Ahnungslosigkeit der Gäste lustig zu machen: Sie nimmt einen Schluck Kaffee, dann einen Schluck Sahne sowie ein Löffelchen Zucker und mischt alles im Mund. Man-choi macht das dann auch prompt nach. Meister Kau begnügt sich immerhin damit, seinen Kaffee einfach schwarz zu trinken.
Das ist soweit tatsächlich sehr witzig. Und dabei haben wir noch gar nicht über die Puddingtörtchen gesprochen! Aber ich will jetzt nicht die ganze Teehaus-Szene nacherzählen. Es genügt zu sagen, dass ich mich prächtig amüsiert hab.
Aber warum hat Herr Yam nun Meister Kau eigentlich eingeladen? Ganz einfach: Yams Vater wurde vor genau zwanzig Jahren beerdigt, jetzt will er den Leichnam von neuem einbuddeln lassen – dies auf Anweisung des Feng-Shui-Meisters, der dazumal die Beisetzung angeleitet hat. Meister Kau hat noch nie von so was gehört, aber die Kohle, die Yam ihm für die erneute Beerdigung aushändigen will, schlägt er sicher nicht aus. Ein Termin wird vereinbart.
Wir sehen dann noch mit an, wie Ting-ting den anderen Lehrling kennenlernt, den schönen Chau-sang. Aufgrund eines Missverständnisses hält er sie zunächst für ein Freudenmädchen. Die Szene ist nur mässig lustig, also lasst uns gleich zur nächsten übergehen.
Es ist was faul mit diesem Grab
Der Tag der Neu-Beisetzung. Meister Kau stellt fest, dass das Grab nicht ordnungsgemäss angelegt wurde, und indem er bei Herrn Yam etwas nachbohrt, erfährt er auch, weshalb: Anscheinend hat Opa Yam das Stück Land dem Feng-Shui-Priester gewaltsam abspenstig gemacht, weswegen der sich gerächt hat, indem er falsche Begräbnisanweisungen gegeben hat. Das hat nun dazu geführt, dass Opa Yam – Potzdonner! – im Tod zum Jiangshi mutiert ist.
Meister Kau empfiehlt, den Leichnam an Ort und Stelle zu kremieren, aber Herr Yam lehnt das kategorisch ab: «Mein Vater hatte grosse Angst vor Feuer! Ich kann ihm das nicht antun.»
Der Meister lässt sich breitschlagen: Der Sarg kommt in die Leichenhalle, bis ein Platz für ein neues Grab gefunden ist.
Wie sich bald herausstellen wird, hätte die Kremation unseren Helden jede Menge Ärger erspart. Aber so kommts halt, wenn der Kunde König ist.
Während die Beerdigungsgesellschaft abzieht, bleiben Mon-choi und Chau-sang zurück – Meister Kau hat ihnen befohlen, auf dem ganzen Friedhof Räucherstäbchen zu verteilen. Chau-sang steckt welche in das Grab einer jungen Frau. Deren Geist verliebt sich in den hübschen Burschen. Auch das wird noch ein paar Verwicklungen nach sich ziehen.
Dumme Spässe mit dem Polizeichef
Der Sarg von Opa Yam steht also in der Leichenhalle. Meister Kau mischt eine magische Tinte zusammen – wozu er unter anderem das Blut eines frisch geschlachteten Huhns benötigt. Das sieht arg nach Tiersnuff aus. Dieser Film ist nicht vegan. Aber stellen wir das mal beiseite. Mit der besagten magischen Tinte zeichnen Man-choi und Chau-sang ein Gitternetz auf den Sarg; das soll den Leichnam darin bannen.
Der Meister warnt seine Schüler ausdrücklich, dass sie keine Stelle vergessen sollen. Aber vergeblich: Die Hornochsen vergessen, den Boden des Sarges einzubeziehen. Wobei die beiden keine volle Schuld trifft: Meister Kau müsste es inzwischen echt besser wissen.
Nach getaner Arbeit fährt der hübsche Chau-sang mit dem Rad nach Hause. Unterwegs entdeckt ihn das weibliche Gespenst vom Friedhof und setzt sich heimlich auf seinen Gepäckträger. Als Chau-sang jedoch unter einem Ast durchfährt, haut es das Gespenst vom Fahrrad. Annäherungsversuch gescheitert.
Nächstentags besucht Meister Kau mit seinen Lehrlingen das Haus von Herrn Yam. Dort ist auch Ting-ting zugegen. Man-choi und Chau-sang machen der jungen Frau gleichermassen Avancen, ziehen damit aber prompt den Zorn von Wai (Billy Lau) auf sich. Der wirbt drum seinerseits um Ting-ting, obzwar er ihr Cousin ist. Darüber hinaus ist er der örtliche Polizeichef, was ihm wiederum einen Vorteil einbringt.
Man-choi und Chau-sang spielen ihm einen Streich: Sie zupfen ihm heimlich ein Haar aus, was es ihnen ermöglicht, eine Art Woodoo-Zauber über ihn zu legen und ihn aus der Ferne zu steuern. So bringen sie ihn dazu, sich selbst zu schlagen und sich vor der Cousine alle Kleider vom Leib zu reissen. Meister Kau legt seinen schelmischen Schülern schliesslich das Handwerk und gebietet ihren Bubereien Einhalt.
Alle Achtung: Billy Lau chargiert und grimassiert in der Rolle des Polizeichefs mit der Feinfühligkeit von zehn Dampfwalzen. Aber wer keine Immunität gegen Holzammer-Humor aufgebaut hat, ist hier sowieso an der falschen Stelle.
Ein Mord und ein Justizirrtum
In der Nacht kommt es, wie es kommen musste: Opa Yam, nunmehr endgültig ein Jiangshi, sprengt den unzulänglich gesicherten Sarg. Dann hüpft er zum Haus seines Sohnes und killt den zu Tode, bis er nicht mehr lebt.
Wie man sich vorstellen kann, sorgt der Mord an Geldsack Yam für einiges an Aufsehen. Meister Kau und seine Schüler sind sofort zur Stelle, ebenso Polizeichef Wai.
Wir entsinnen uns: Hüpfvampire haben lange, scharfe Fingernägel. Jemand hat Herrn Yam mit langen, scharfen Fingernägeln umgebracht. Meister Kau hat die längsten Fingernägel in der Stadt. Polizeichef Wai folgert messerscharf: Meister Kau ist der Mörder! Er lässt den Meister sogleich zusammen mit dem Leichnam ins örtliche Gefängnis bringen – aber immerhin gesteht er ihm noch ein letztes Gespräch mit seinen Schülern zu.
Da der Leichnam von Opa Yam verschwunden ist, kombiniert Kau, was in der Nacht tatsächlich vorgefallen ist. Er fürchtet, dass bald zwei Vampire aufs Mal die Gegend unsicher machen werden, falls nämlich Herr Yam sich ebenso wie sein Vater zum Jiangshi verwandelt. Deshalb soll Chau-sang noch in derselben Nacht seine Anti-Vampir-Ausrüstung zu ihm ins Gefängnis schmuggeln. Man-choi seinerseits erzählt den Auftrag, auf dem Yam-Anwesen zu bleiben und Ting-ting zu beschützen.
Man-choi: «Aber wie beschütze ich sie?»
Meister Kau: «Wenn ihr einem Vampir begegnet, dann haltet die Luft an.»
Er spezifiziert es nicht näher, aber Hüpfvampire können keine Menschen wahrnehmen, die nicht atmen. Das wird noch von Belang sein.
Der grosse Prison Fight
Im Gefängnis. Polizeichef Wai lässt Meister Kau über Nacht in eine Zelle sperren, der Leichnam von Herr Yam bleibt derweil im Hof liegen – dessen Anwesenheit soll das schlechte Gewissen von Kau aktivieren und ihn zum Geständnis treiben.
Der hübsche Chau-sang – stilecht in eine Art Ninja-Anzug gekleidet – kletter übers Dach in den Gefängnishof und apportiert Meister Kau die verlangten Utensilien. Es ist auch höchste Zeit, denn Herr Yam steht als Hüpfvampir von seiner Liege auf. Meister Kau ist in seiner Zelle in Sicherheit, Chau-sang kämpft allerdings um sein Leben, wortwörtlich, denn Hüpfvampire beherrschen in diesem Film allesamt Kung Fu.
Auch wenn man in der einen oder anderen Einstellungen die Kabel sieht, an denen die Leute hängen: Die Kampfchoreografie und Stunts sind ziemlich beeindruckend. Da zudem Herr Yam als Vampir übermenschliche Kräfte hat, ist er für seinen Part nicht an die Gesetze der Physik gebunden. Sehr hübsch.
Wobei der Film eh weniger auf Realismus denn auf Cartoon-Logik setzt. Das sehen wir, als Polizeichef Wai sich plötzlich in den Kampf einmischt. Er setzt sich einmal versehentlich auf ein Nagelbrett und macht daraufhin einen meterhohen Sprung. Ein Hoch auf den Slapstick.
Zwischendurch versuchen unsere Helden (sowie Wai), sich vor dem Vampir zu verbergen, der sie in eine Ecke gedrängt hat, indem sie die Luft anhalten – bei aller Komik hat das durchaus Suspense.
Im Laufe des Tumults entkommt Meister Kau aus seiner Zelle, und mithilfe der Anti-Vampir-Utensilien schaffen er und Chau-sang es, Herr Yam unschädlich zu machen. Am Ende verbrennen sie den Vampir. So viel zu Herrn Yam.
Opa zertrümmert Möbel
Derweil auf dem Yam-Anwesen. Tsing-tsing und Man-choi verbringen den Abend einigermassen gelangweilt. Da fällt Opa Yam mit der Tür ins Haus!
Die Dienerschaft nimmt Reissaus (gut so), Tsing-tsing und Man-choi verstecken sich in einem Schrank, während der Hüpfvampir wie Michael Meyers davor herumstalkt. Auch die beiden versuchen, dem Jiangshi zu entgehen, indem sie den Atem anhalten – aber was will man machen, ohne regelmässige Sauerstoffzufuhr können die wenigsten Menschen leben. Opa Yam scheucht sie aus besagtem Schrank.
Zum Glück kommen Meister Kau, Chau-sang und Polizeichef Wai mit seiner ganzen Belegschaft dahergerannt. Der alte Hüpfvampir ist um einiges stärker, als es sein kürzlich vampirisierter Sohn war, aber unsere Helden schaffen es immerhin, ihn in die Flucht zu schlagen. Freilich hat Man-choi eine direkte Verletzung durch Opa Yam davongetragen. Soll heissen: Wenn das Gift des Vampirs sein Herz erreicht, wird auch er zum Untoten.
Um Man-choi dieses Schicksal zu ersparen, verpasst ihm Meister Kau eine Anti-Vampir-Kur. Zentral für diese ist weisser Klebereis, anscheinend des beste Mittel gegen Vampir-Gift. Weils davon zu wenig im Haus hat, schickt Meitser Kau den hübschen Chau-sang los, um weiteren zu kaufen.
Die Rückkehr der Geisterdame
Der nächstgelegene Reishändler hat spitzgekriegt, dass die Menschen aus der Gegend aufgrund der ganzen Vampirfälle plötzlich haufenweise Klebereis kaufen. Um den Nachschub (und damit seinen Profit) nicht zu gefährden, mischt er Langkornreis unter den Klebereis. Einmal mehr führt der Kapitalismus für alle Beteiligten zur Katastrophe.
Mit dem Reissack auf dem Gepäckträger macht sich Chau-sang auf den Weg zurück zu Meister Kau und Co. Unterwegs wirft jedoch wieder der weibliche Geist ein Auge auf ihn.
Hier eine kleine Triggerwarnung: Dieses Gespenst hat es nicht so mit consent. Erst zwingt die Geisterdame mit ihren Kräften einen Nachtwächter dazu, sie sexuell zu belästigen – woraufhin Chau-sang sich als helfender Retter fühlen kann. Er begleitet sie auf ihr herrschaftliches Anwesyen. Als er dort ihre Avancen zurückweist, gibt sie ihm verzauberten Reiswein zu trinken, um ihn gefügig zu machen. Uffza. Das finde ich doch eher uncool, Madam Gespenst.
Völlig übermüdet taucht Chau-sang am nächsten Morgen bei Meister Kau auf – dem verheimlicht er, was vergangene Nacht vorgefallen ist, aber dem Alten fallen die eigentümlichen Knutschflecken am Körper des Jünglings auf. Man-choi zeigt derweil schon die ersten Symptome von Vampirismus.
Derweil treiben sich Polizeichef Wai und seine Truppe irgendwo draussen in der Wildnis rum, um den Opa-Yam-Vampir zu finden und zur Strecke zu bringen. Als sie eine Höhle entern, um sie zu durchsuchen, werden sie jedoch von einem Gorilla vertrieben. Genauer gesagt, von einem Typen in einem Gorillakostüm. Und nein, meines Wissens gibts in Hongkongs Wildnis keine Gorillas und gab es auch nie welche.
Priester vs. Geist
Chau-sang hat den ganzen Tag verschlafen, sehr zur Sorge von Meister Kau und den anderen. Kaum wacht er auf, packt er sein Velo und fährt zurück zum Haus der Geisterdame. Doch Meister Kau ist ihm heimlich auf den Fersen! Und er nimmt den Kampf mit dem Gespenst auf.
Und alle Achtung, die Szene ist vom Feinsten. Meister Kau hat einen magischen Dolch, die Gespensterfrau dafür einen langen Zopf, den sie wie einen Tentakel navigiert. Zwischendurch trennt sie den (fliegenden) Kopf vom Rumpf, um den Meister von zwei Seiten angreifen zu können.
Kompliziert wirds, als es die Dame per Zauber so hinbiegt, dass Chau-sang seinen Meister für Polizeichef Wai hält. So muss sich der Meister während seines Kampfes gegen den weiblichen Geist auch noch mit seinem Schüler rumschlagen.
Irgendwann hat die Geisterdame die Schnauze voll und fliegt durchs Fenster davon. Alle Illusionen zerspringen: Chau-sang erkennt endlich seinen Meister wieder, und das herrschaftliche Anwesen entpuppt sich als eine Ruine voller Spinnweben.
Der Meister schleift Chau-sang zurück in sein Hauptquartier, und er hält ihm und Man-choi eine Gardinenpredigt:
«Schaut euch nur mal an! Der eine von einem Vampir vergiftet, der andere von einem Geist besessen. Es ist doch ein Pech, dass ich solche Lehrlinge hab.»
Eine Geisterdame verschwindet
Meister Kau hat Chau-sang an einem Stuhl festgebunden, damit er nicht heimlich abhaut – stattdessen soll er als Köder für die Geisterdame dienen. Sobald sie angeflogen kommt, will der Meister sie exorzieren.
Während der Meister draussen die Stellung hält und Chau-sang sich drinnen auf seinem Stuhl langweilt, vollzieht sich bei Man-choi allmählich die Verwandlung zum Vampir – wir erinnern uns: Der Klebereis, der ihn hätte heilen sollen, ist mit Langkornreis verschnitten.
Tatsächlich taucht die Geisterdame auf, um sich Chau-sang zu holen. Doch Meister Kau fängt sie ab und liefert sich einen erbitterten Zweikampf mit der übernatürlichen Schönen.
Drinnen verwandelt sich Man-choi endgültig zum Hüpfvampir – blöde Situation für Chau-sang, der ja an seinen Stuhl festgebunden ist. Mit Müh und Not kommt er frei und erwehrt sich der Angriffe von Vampir-Man-choi. Letztlich überlebt er aber bloss, weil ausgerechnet die Geisterdame ihn rettet.
So hat Meister Kau nun alle Hände voll zu tun mit dem weiblichen Geist, einem Hüpfvampir und einem liebestollen Lehrling.
Aber der Meister ist ganz zu Recht der Meister, und so setzt er sowohl den Man-choi-Vampir wie auch die Geisterdame ausser Gefecht. Der verliebte Chau-sang hält ihn aber davon ab, das Gespenst zu exorzieren – so kann es die Flucht ergreifen. Und verschwindet damit eher abrupt aus dem Film. Tschüss, liebe Geisterdame!
(Gemäss Drehbuch hätte sie wohl vernichtet werden sollen, was aber Regisseur Ricky Lau während der Dreharbeiten umänderte. Leider hat er sich nicht damit aufgehalten, ihr einen anderweitigen Schluss zu gönnen.)
Und was ist mit Man-choi? Der wird mit einem Klebereis-Bad behandelt – Ting-ting ist so lieb, alle Klebereiskörner von den Langkornreiskörnern zu trennen. Chau-sang feilt seinem Kumpel zudem die Eckzähne ab. Damit ist Man-choi dem Schicksal als Hüpfvampir gerade noch entkommen.
Das Finale!
War da nicht noch was? Ach ja, genau: Polizeichef Wai stürzt in die gute Stube und brüllt: «Meister Kau, der Vampir ist zurück im Dorf!» Und tatsächlich, da ist der Opa-Yam-Vampir auch schon.
Der alte Jiangshi ist inzwischen noch stärker (und hässlicher) als je zuvor. Soll heissen, er macht es unseren Helden alles andere als leicht. Einmal mehr geht die halbe Einrichtung zu Bruch. Ein Wunder, dass bis hierhin überhaupt noch ein Möbelstück überlebt hat. Der örtliche Ikea-Manager reibt sich die Hände.
Es sieht ganz schön düster aus für unsere Helden, der Jiangshi ist einfach nicht kleinzukriegen. Doch schau mal an, wer mischt sich denn da ein? Es ist Meister Rotnase mit einer neuen Bande an Jiangshi! Die befiehlt er in den Kampf gegen den Bösvampir. Alle zusammen schaffen sie es endlich, Opa Yam niederzuringen und unschädlich zu machen, indem sie den alten Hüpfer in Brand stecken. Was bereits gegen Jeanne d’Arc geholfen hat, erledigt auch das Ungeheuer, und es implodiert brennend.
Allerdings gehen dabei auch die Jiangshi von Meister Rotnase in Rauch auf, worüber jenerwelcher gar untröstlich ist. Naja, wo gehobelt wird etc. Hauptsache, die örtliche Hüpfvampir-Pandemie ist eingedämmt.
Kabel und fliegende Köpfe
Mr. Vampire ist eine Wundertüte an allem, was das Hongkong-Kino jener Epoche so charmant macht: hartes Kung Fu, spektakuläre Stunts, Holzhammer-Humor, haufenweise Effekte – und dazu noch eine ordentliche Portion Monster.
Die Actionszenen haben mir allesamt Freude bereitet, besonders der Kampf im Haus der Geisterdame. Sehr einfallsreich, diese Prügelei. Fliegende Köpfe sind immer ein Plus.
Und für mich ganz persönlich war das Luk Yu Tea House als Drehort eine nette Überraschung. Wie denn auch die Teehaus-Sequenz für mich das komödiantische Highlight des Filmes ist. Man soll jetzt kein Meisterwerk des raffinierten Esprit erwarten, aber für Hongkong-Verhältnisse ist das schon anerkennenswert.
Klar, an anderer Stelle ist der Humor arg platt, und Billy Lau als Polizeichef Wai, den muss man erst einmal ertragen können. Grimasse Overdrive.
Dafür sieht man in den Action- und Effekteszenen öfters die Kabel, an denen die Schauspieler*innen hängen, wenn sie rumfliegen. Und wenn Opa Yam am Ende seine finale Form annimmt, ist schon sehr offensichtlich, dass das ein Stuntman mit Gummimaske ist. Ganz zu schweigen von dem Typen im Gorillakostüm. Aber die Story ist derart rasant erzählt, dass man sich mit solchen Details nie lange aufhält.
Spätere Hongkong-Horrorfilme waren noch etwas exzessiver und aufwändiger – ich denke etwa an A Chinese Ghost Story (1987). Aber als früher, bahnbrechender Vertreter seiner Zunft kann sich Mr. Vampire sehen lassen. Kein Wunder, dass der Streifen zu seiner Zeit derart eingeschlagen ist.
Ein Strauss an Trotteln
An der Dynamik von Meister Kau und seinen beiden Schülern gefällt mir, dass der Priester zwar nicht ansatzweise so ein Trottel wie letztere ist, aber doch auch einige Charakterschwächen hat und sich mitunter selbst in die Bredouille bringt. Wenn er eben in der Teehaus-Szene nicht zugeben will, dass er von westlichen Gebräuchen ebenso wenig Ahnung wie sein Schüler hat. Oder wenn er im Gefängnis mit dem Kopf zwischen zwei Gitterstäben steckenbleibt – gleich zweimal.
Dass Schauspieler Ching-Ying Lam ungefähr halb so alt ist wie die Figur, die er spielt, geschenkt. Siu-Ho Chin und Ricky Hui sind als Trottel vom Dienst ziemlich sympathisch.
Herr Yams Tochter Ting-ting (Moon Lee) hat einen tollen ersten Auftritt im Teehaus, wo die Figur einen Hang zum Schabernack an den Tag legt. Leider mutiert sie bald darauf zum reinen Objekt der Begierde mit einem Schlenker zur hilflosen Jungfrau in Nöten, die keinerlei Charakter mehr zeigt. Schade drum.
Anders Siu-Fung Wong als Geisterdame, immerhin eine Frauenfigur mit durchgehend eigenen Motiven und dem Willen, diese Durchzusetzen. (Auch wenn es dazu führt, dass sie Chau-sangs sexuelle Selbstbestimmung knallhart ignoriert. Buh!) Und wie gesagt, der Kampf in ihrem Palast ist für mich ein Höhepunkt des Films.
Schönheitsfehler: Die Handlungsstränge um den Opa-Yam-Vampir und um die Geisterdame laufen leider nie so ganz zusammen – als unsere Helden im Finale den Jiangshi bekämpfen, hab ich eigentlich damit gerechnet, dass die Geisterdame nochmals einschreitet und den Tag rettet. Aber Pustekuchen. Nach ihrem abrupten Abschied bleibt sie verschwunden. Und soweit ich das recherchiert bekomme, nimmt auch keine Fortsetzung den Faden auf.
Tradition und Moderne
Ganz interessant find ich den historischen Kontext der Handlung – online finde ich die Behauptung, dass das Ganze in der frühen Republik China spielt. Kurzer Rückblick: Das Kaiserreich wurde 1912 aufgelöst und dafür die Republik installiert. Es folgte bald darauf ein Bürgerkrieg, den 1949 die Kommunisten für sich entschieden. Auf dem Festland wurde die Volksrepublik China ausgerufen. Was von der alten Republik übrig geblieben war (Chiang Kai-shek und Co.), zog sich auf Taiwan zurück.
Dass die Handlung in der Republik China stattfindet, wird darauf zurückgeführt, dass Polizeichef Wai und seine Knechte auf ihren Uniformen den fünffarbigen Stern der Beiyang-Armee-Sternen tragen. Hab ich ja auch schon erwähnt. Diese Armee wurde allerdings bereits 1895 aufgestellt. Wahrscheinlich gibts noch andere historische Hinweise, die ich als Laie einfach nicht erkenne.
Wie dem auch sei, der Film greift sich diesen Kontext, um mit dem Kontrast von Tradition und Moderne zu spielen. Im Teehaus zum Beispiel, wo unsere Helden Probleme mit den westlichen Gepflogenheiten haben. Und ganz grundsätzlich handelt der Film davon, wie eine Bedrohung aus alter Zeit (der Jiangshi) in die frühe Moderne eindringt – da gibt sich Mr. Vampire als chinesisches Pendant zu Dracula, wo ja ebenfalls ein altertümliches Ungeheuer die moderne Welt heimsucht.
Übrigens wurde Mr. Vampire nicht nur in Hongkong, sondern auch auf Taiwan gedreht. (Das Kleinstadt-Set zum Beispiel wurde auf der Insel errichtet.) Das war zu jener Zeit nicht ungewöhnlich, war doch der Platz in Hongkong beschränkt, kam das Festland aber nur eingeschränkt als Drehort infrage. Und von daher ergibt es wiederum Sinn, dass die Story in die frühe Republik verlegt wurde – war die Regierung auf Taiwan doch, wie erwähnt, die Erbin derselben.
Was vom Tage übrig bleibt
So, ich denke, alle Punkte auf meiner Liste sind getreulich erledigt und ordnungsgemäss abgehakt. Mr. Vampire macht Spass, ich empfehle den Film als beste Halloween-Unterhaltung. Mal gucken, ob die Sequels was taugen.
Originaltitel: Geung Si Sin Sang
Hongkong 1985, 98 Min.
Regie: Ricky Lau
Drehbuch: Ricky Lau, Cheuk-Hon Szeto, Barry Wong
Mit Ching-Ying Lam, Siu-Ho Chin, Ricky Hui, Moon Lee, Billy Lau, Siu-Fung Wong et al.
Mr. Vampire ist super! Ich muss endlich mal die ganzen Sequels glotzen.
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Ist auch mein festes Ziel. 🙂
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