Im März 2019 reisten Armada und Rogerg nach Japan, wo sie eine gute Woche in Tokio und Kyoto verbrachten. Das sind ihre Erlebnisse.
Es ist die geschäftigste Kreuzung der Welt, zumindest aber die berühmteste: Das Scramble Crossing beim Bahnhof Shibuya. Fünf Strassen laufen hier zusammen, fünf Zebrastreifen führen rüber (einer davon quer). Bei Grün gehen hier bis zu 3 000 Leute aufs Mal durch; an einem guten Tag addiert sich das zu 500 000 Passanten. Ein oft benutztes Symbolbild für urbane Geschäftigkeit.
Armada und ich kommen am Bahnhof an und müssen uns erst einmal zurechtfinden; Shibuya Station gehört ja zu den grössten von Tokio (und damit der Welt). Zur Orientierung halten wir Ausschau nach dem Hachiko-Denkmal.
Hachiko (1923-1935) war ein Hund, der an der Station jeden Tag auf sein Herrchen wartete. Und weiterhin jeden Tag wartete, nachdem besagtes Herrchen gestorben war. Neun Jahre lang. Das Tier wurde schon zu Lebzeiten für seine Loyalität gefeiert und war ein Medienstar, es gibt zahlreiche Bücher und Filme. Darunter eine amerikanisierte Version mit Richard Gere in der Rolle des Besitzers.
So herzerwärmend die Geschichte ist: Das Japan, das Hachiko feierte, war ein Japan im faschistischen Wahn. Dieses Hohelied auf Loyalität hat einen ekligen Beigeschmack.
Jedenfalls, wir finden den Hund und damit auch die Kreuzung. Rundherum ist jede freie Oberfläche mit Leuchtreklamen zugestellt, selbst die Laster fahren mit Werbebildschirmen die Strassen entlang. Ströme von Menschen kommen aus allen Richtungen. Aber es ist ein sehr gesittetes Chaos, ein überraschend stilles Gewusel, wie überall in Tokio. Wir schwappen mit der Menge über die Kreuzung, gleich mehrmals.
Und begeben uns zum Hikarie-Wolkenkratzer. Im 11 Stock findet sich die Sky Lobby, von der aus man einen Blick auf die Shibuya Station und die Kreuzung hat. Ohne dass man was dafür zahlen muss; das ist doch schön.
Seinen Namen hat der Stadtbezirk vom Schloss der Shibuya-Familie, das hier einst stand. Später wuchs hier ein Dorf heran, das mit der Zeit zum Vorort des wachsenden Tokio wurde. In den 30ern schliesslich war Shibuya selbst ein Teil der Riesenstadt.
Ein weiteres Mal überqueren wir die Kreuzung, dann gehen wir die Center-Gai entlang, der grossen Einkaufsstrasse von Shibuya.
Wir stellen uns in der Uogashi standing sushi bar an den Tresen. Eingelegter Ingwer ist gratis, Grüntee ebenfalls — es stehen Dosen mit Matchapulver auf dem Tisch; wir tun uns davon etwas in die Becher und füllen sie mit heissem Wasser aus dem Hahn auf. Dann bestellen wir bei den Sushi-Meister*innen, die uns unsere Häppchen frisch zubereiten, mehr oder weniger direkt in den Mund hinein.
Die Strassen von Shibuya sind sauber und hell erleuchtet, die Leute verhalten sich brav — kein Littering, kein Rumgrölen, kein Rauchen. Für solche Zwecke gibts die Seitengassen. Wir gehen in eine solche, denn Armada braucht eine Zigarette. Es gibt nur wenig Licht, dafür klapprige Lüftungen und offene Kabel. Die Wände sind voller Kleber und Schmierereien. Der Asphalt befindet sich in einem schlechten Zustand. Eine Nische wird als wilde Müllhalde genutzt (einer Absperrung zum Trotz). Eine Reihe anderer Raucher*innen hat sich versammelt. Ein Typ stellt sich an eine Hauswand und pisst.
Am Ende der Gasse ein Laden für Früchte und Gemüse; dort kostet eine Melone umgerechnet 20 Franken. Danach zurück ans Licht, zu den Leuchtreklamen und bunten Fassaden, dorthin, wo der Weg säuberlich gepflastert ist.
In einer Parallelstrasse zur Center-Gai, der Inokashira-Dori, stossen wir auf eine Punkband, die ein Strassenkonzert gibt: Minamis. Die vier Jungs spielen ihre Lieder und verteilen Flyer, verkaufen CDs. Wir hören eine Weile zu.
Sie verausgaben sich, schreien und springen herum. Etwas abseits tanzt sich ein Raver in Ekstase, Leuchtstäbe in den Händen. Ist er zufällig vorbeigekommen? Ist er ein Fan? Oder gar Teil der Truppe? Wir erfahren es nicht.
Eine kleine Menge hat sich versammelt. Die Leute nicken zum Takt, schiessen Fotos und klatschen höflich.
Mein Lieblingssong der Band:アイ.
Die nächste Rauchpause. Wir suchen uns eine stille Ecke in einem ruhigen Strässchen. Gegenüber eine Bar. Unter einer Aussentreppe liegt ein Müllsack. An diesem machen sich Ratten zu schaffen.
Bevor wir Shibuya wieder verlassen, nehmen wir noch Tee, Kaffee und Kuchen im Kohisakan SHŪ Premium. Ein nettes kleines Café im europäischen Stil. Aus dem Lautsprecher tönt klassische Musik. Zur Dekoration liegen alte deutsche Bücher rum, darunter Hölderlins Oden.