Hieronymus vs. Jheronimus: Garten und Teufel

boschvsbosch03Ein- und derselbe Verleih bringt zwei Dokumentarfilme über Hieronymus Bosch ins Kino, und das mit nur einem Monat Abstand. Das ist nicht unbedingt die cleverste Idee aller Zeiten. (Ich dachte die längste Zeit, beide Filme seien der gleiche, bis mich die Pressefrau auf die tatsächlichen Verhältnisse aufmerksam gemacht hat.) Nun gut, nutzen wir die Gelegenheit und ziehen wir einen Vergleich. Aber eines kann ich schonmal vorwegnehmen: Nur einer der beiden Dokumentarfilme ist die Sichtung wert.

Hieronymus Bosch – The Garden of Dreams: Dieser Film wurde vom Museo del Prado in Auftrag gegeben (dem spanischen Nationalmuseum für Kunst in Madrid), und zwar anlässlich der Ausstellung Bosch. The 5th Centenary Exhibition. Bekanntlich jährte sich im vergangenen August der Tod des berühmten Malers zum fünfhundertsten Mal (er lebte von ca. 1450 bis 1516). Nun muss man wissen, dass Bosch zwar in Holland gelebt und gewirkt hat, jedoch viele seiner bedeutendsten Gemälde in Spanien gelandet sind, da König Philipp II. (1527-1598) ein riesiger Fan des Künstlers war. In dem Land wird bis heute geradezu ein Kult um el Bosco veranstaltet.
So gehört zum Bestand des Prado auch das Triptychon Der Garten der Lüste, nicht nur Boschs bekanntestes Gemälde (entstanden um 1500), sondern auch eins der ganz grossen Werke der Kunstgeschichte. Selbiges ist folglich Dreh- und Angelpunkt von The Garden of Dreams. Der Dokumentarfilmer José Luis López-Linares erzählt uns allerlei über das Bild und lässt dafür Experten zu Wort kommen wie zum Beispiel den Sprecher der geschichtsträchtigen Liebfrauenbruderschaft in Holland – jener Bruderschaft gehörte seinerzeit eben auch Bosch an. (Deren Sprecher erklärt uns unter anderem das Wappen des Malers.) Hinzu kommen Kunsthistoriker, eine Restauratorin und andere Leute vom Fach.

Den Grossteil der Interviews bestreiten aber Künstler der Gegenwart, die uns ihre Interpretation vom Garten der Lüste auf die Nase binden. Und da stellt sich leider heraus, dass all die Leute kaum etwas von Belang zu sagen haben. Niemand Geringeres als Salman Rushdie erklärt uns beispielsweise solche Banalitäten wie: „Das Tolle an diesem Gemälde ist, dass es überhaupt nicht wie ein altes Bild wirkt.“ Oder zum Baum-Mensch: „Das ist eins der berühmtesten Bilder im Gemälde und vielleicht ist es ein Selbstporträt, oder vielleicht auch nicht.“ Faszinierend.
Sein dänischer Schriftsteller-Kollege Cees Nooteboom meint wiederum: „Dieses Gemälde stand, oder besser gesagt hing dort all die Jahre, und verströmte seine Kraft, seine Seele oder wie immer Sie das nennen wollen. Vor und nach der französischen Revolution, vor und nach Auschwitz.“ Fazit dieses Gedankengangs: Die Leute von heute schauen sich das Bild anders an als die Leute von damals. Erstaunlich.
Oder da gibt es jene Sängerin, die, konfrontiert mit dem Triptychon, spontan anfängt, ein nervtötendes Geheule von sich zu geben. Himmel hilf.
An anderer Stelle wiederum hören wir den Lana-Del-Ray-Song Gods & Monsters (der auf der Textebene ja einige Anspielungen an christliche Jenseitsvorstellungen enthält), wozu der Regisseur aus Ausschnitten des Triptychons ein Amateur-Musikvideo zusammenschneidet. Was an interessanten Informationen vorhanden wäre, verschwindet unter solchen krampfhaften Versuchen, von Bosch eine Linie zu heute zu ziehen.

Alles in allem macht The Garden of Dreams den Eindruck eines uninspirierten Werbevideos – Bosch war ja tatsächlich ein fantastischer Maler, aber die Protagonisten dieses Dokumentarfilms preisen ihn an, als müssten sie ein Set von Gemüseschälern verkaufen.

 
Jheronimus Bosch – Touched by the Devil: Auch dieser Film begleitete eine Ausstellung. Das Het Noordbrabants Museum in Boschs Heimatstadt Den Bosch versucht, ebenso wie das spanische Museo del Prado, zum 500. Todestag des Künstlers eine Werkschau auf die Beine zu stellen. Blöd halt, dass die Sammlung der Holländer ziemlich kärglich ist. So begleiten wir ein Team des Het Noordbrabants, angeführt von Kurator Matthijs Ilsink, bei dem Versuch, von verschiedenen Museen der Welt Leihgaben zu kriegen.

Die erste Station ist natürlich Madrid – wo wir doch prompt Pilar Silva Maroto wiederbegegnen, der Kuratorin vom Prado, die wir eben erst in The Garden of Dreams gesehen haben. Klein ist die Welt.
Jheronimus Bosch – Touched by the Devil (bei „Jheronimus“ handelt es sich um die holländische Schreibweise) ist ein grandioser kleiner Dokumentarfilm, der einen faszinierenden Einblick in die Welt des internationalen Museumsbetriebs gewährt. Und das durchaus mit Humor. Da geraten der holländische Kurator und die spanische Kuratorin aneinander, weil die Holländer die Gemälde nicht nur gern ausleihen, sondern auch mit ihren wissenschaftlichen Methoden untersuchen würden. Aber die Spanier halten gar nichts davon, denn schliesslich haben sie ihr eigenes Team.
Die Anfrage der Holländer hat eh eine heikle Seite: Durch die modernen Untersuchungsmethoden soll auch festgestellt werden, welche Gemälde, die Bosch zugeschrieben, tatsächlich von ihm sind, oder eben nicht. Mit sowas kann man natürlich ganz schnell jemandem auf die Füsse treten – ein Minenfeld für die Beziehungen zwischen Holland und Spanien. Die beiden Ländern streiten sich doch eh schon darum, wem Bosch denn eigentlich gehört. Ilsink ist sich dieser Umstände genau bewusst und hält sich vor der Kamera mit Kommentaren demonstrativ zurück: „Der hat politische Auswirkungen, mein Kommentar.“
Die spanische Kuratorin jedenfalls weiss ganz genau, dass sie am längeren Hebel sitzt, „weil sie keine Bosch-Gemälde haben, wir aber schon.“

Ganz toll ist auch die Reise nach Venedig: In der Gallerie dell’Accademia finden sich eine Handvoll Bosch-Werke. Der Direktor, Matteo Ceriana, ist auch gern dazu bereit, die Gemälde ins Het Noordbrabants auszuleihen – allerdings verlangt er dafür, dass die Holländer die Restauration der Bilder bezahlen (das sind ja auch bloss 300’000 Euro).

Ganz nebenbei lernt man sehr viel über Boschs Arbeitsweise, denn die erwähnten Untersuchungen führen zu detaillierten, zum Teil ganz neuen Ergebnissen. Da lernt man nicht zuletzt, dass Bosch eben nicht allein gearbeitet hat, sondern eine Werkstatt unterhielt mit vielen Arbeitern, die seine Aufträge ausführten – da waren mitunter mindestens vier Leute an einem Bild dran. Ganz zu schweigen von den vielen Schülern (und Kopisten), die Boschs Methoden weiterführten. Deswegen ist ja bei so manchem Bosch-Gemälde die Urheberschaft keineswegs unbestritten.
Darüber hinaus ist es einfach lustig, wenn die Experten beispielsweise lauter gemalte Ohren miteinander vergleichen, um herauszufinden, welche der Meister selber gepinselt hat. Im Gegensatz zum spanischen Film, der leider oft in vage, oberflächliche Aussagen abdriftet, ist der holländische diesbezüglich sehr konkret.

Eine kleine Sensation gelingt schliesslich, als Matthijs Ilsink ein Gemälde, das in einem eher unbedeutenden Museum in Kansas City hängt, dem Meister persönlich zuzschreiben. Der Direktor Julián Zugazagoitia macht dazu den mit Abstand besten Kommentar des Films: „Man liebt ja alle seine Kinder gleichviel, aber das ist, als hätte eines den Nobelpreis gewonnen.“

Darüber hinaus wird Ilsink gebeten, eine Zeichnung aus einer privaten Sammlung zu untersuchen. Und tatsächlich, auch hier findet er einen authentischen Bosch, der zuvor unbekannt war. Das freut den Sammler – nicht, weil ihm die Zeichnung gefallen würde (tut sie nicht) oder weil er ein Bosch-Fan wäre, sondern weil ihm das eine Menge Geld einbringt. Und allerspätestens an dieser Stelle muss ich auf Orson Welles‘ legendären Filmessay F For Fake hinweisen, eine ebenso intelligente wie kritische Abrechnung mit dem Kunstbetrieb, wo der Maler vor allem Marke ist, Experten als Könige regieren und die Profite wichtiger sind als die Freude am Kunstwerk. Für Welles wäre Ilsink hier der Bösewicht – oder zumindest ein nützlicher Trottel, wie ihn Fälscher nur allzu gern ausnützen.
Soweit geht Regisseur Pieter van Huystee in seinem Film natürlich nicht, aber Touched by the Devil zeigt doch deutlich, wie sehr sich der Museumsbetrieb um Politik und Geld dreht.
Jedenfalls tut es am Ende ganz gut, sich zurückzulehnen und sich den Garten der Lüste einfach mal anzusehen.

Hieronymus Bosch – Garden of Dreams
Originaltitel: El Bosco: El Jardín de los Sueños
Spanien/Frankreich 2016, 84 Min.
Regie: José López-Linares
Buch: Cristina Otero
Mit Salman Rushdie, Cees Nooteboom, Max, Pilar Silva Maroto et al.
Kinostart: 13. Oktober 2016
Trailer

Jhieronimus Bosch – Touched by the Devil/Schöpfer der Teufel
Holland 2015, 89 Min.
Regie & Buch: Pieter von Huystee
Mit Matthijs Ilsink, Ron Spronk, Luuk Hoogstede, Pilar Silva Maroto et al.
Kinostart: 10. November 2016
Trailer

Bilder von Xenixfilm

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